Im Rahmen der Vortragsreihe «Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden der Kohlemine El Cerrejón in Kolumbien» wird an der Universität Zürich über den Kohleabbau in Kolumbien, die Schweizer Verwicklungen darin und die Perspektiven der Konzernverantwortungsinitiative diskutiert. Mit dabei ist auch die Präsidentin der Corporate Social Responsibility des Minenkonglomerats El Cerrejón, das zu 33% Glencore gehört. Was folgt, ist eine Diskussion um Vertreibung, Verantwortung und vor allem auch um die Deutungshoheit über die Geschichte der Region.
Der Saal ist gepackt voll an diesem Donnerstagabend, so dass die zuletzt Gekommenen sich auf dem Boden einen Platz suchen müssen. Gerufen zu dieser Veranstaltung haben die Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien, Swissaid Zürich und die Hochschulgruppe von Amnesty International Zürich. Es soll um den Kohleabbau in der Region la Guajira im Nordosten Kolumbiens gehen – die grösste offene Kohlemine der Welt, an der das Minenkonglomerat El Cerrejón mit grosser Beteiligung des in der Schweiz angesiedelten Konzerns Glencore noch bis 2034 die Konzession hat. Der Anlass ist aus zwei Gründen besonders aktuell: Nicht nur aufgrund der potentiellen Änderungen, welche die angestrebte Konzernverantwortungsinitiative (KOVI) mit sich bringt, sondern auch aufgrund neuer Recherchen, die belegen, dass die Schweiz auch indirekt als Konsument Nutzniesser dieses Abbaus ist.
Die Hauptreferenten des Abends sind Jenny Paola Ortiz, eine Sozialwissenschaftlerin der NGO CINEP, die sich für die indigenen und afrokolumbianischen Gemeinschaften und den Frieden einsetzt, sowie Samuel Arregocés, Sprecher der afrokolumbianischen Gemeinschaft Tabaco, die 2001 mit Polizeigewalt geräumt wurde, um der Mine Platz zu machen. Samuel ist in seiner Heimat akuten Bedrohungen ausgesetzt und kann daher nicht mehr in seiner Gemeinde leben. Erst noch unangekündigt und leise im Publikum sitzend, kommt dann auch Inés Elvira Andrade dazu, Vertreterin von El Cerrejón in Sachen Corporate Social Responsibility.
Rohstoffabbau in der Guajira – wo bleibt die Mitsprache der Bevölkerung?
Der Abend beginnt mit einem Filmeinblick und einem Abriss der Geschichte der Guajira, dem nordöstlichsten Zipfel Kolumbiens. Lange von der Kolonialverwaltung und später vom kolumbianischen Staat vernachlässigt, war diese Halbinsel ein Ort indigenen Widerstands sowie der Ansiedlung entflohener Sklaven, die sich entlang des Flusses Ranchería niederliessen – der einzigen grösseren Wasserquelle der Halbwüsten-Region. Erst mit der Hinwendung zum Rohstoffabbau in den 1970er-Jahren kam das Territorium unter staatliche Kontrolle und schon bald begannen erste, oft gewaltsame Räumungen von indigenen und afrokolumbianischen Siedlungen. Hier schliessen Jenny Paola Ortiz und Samuel Arregocés in ihren Referaten auch direkt an. Beide betonen die undurchsichtigen Strategien, die bei der Enteignung des Landes angewendet wurden, den Mangel an Informationen und die fehlende Entschädigung, die zunehmende Verödung der Landschaft durch den Kohleabbau, die Schäden an den Zuflüssen des Ranchería, die austrocknen oder sich mit Schwermetall und Dreck füllen sowie die Krankheiten, unter denen die Bevölkerung leidet. Doch vor allem – und dies ist das Herzstück von Samuels Arregocés’ Plädoyer – fehlte die Mitsprache der Bevölkerung. So wurde die Zukunft der umzusiedelnden Bevölkerung und der ganzen Region stets bilateral zwischen den grossen ausländischen Firmen, die El Cerrejón besitzen, und der Regierung in Bogotá ausgehandelt. Die lokale Bevölkerung wurde nicht miteinbezogen.
Zu diesem Zeitpunkt wird Inés Andrade vom Publikum aufgefordert, sich auch zu beteiligen. Ihren Beitrag beginnt sie erst auf Englisch, wird dann aber darauf hingewiesen, aus Respekt vor den anderen kolumbianischen Gästen Spanisch zu sprechen. In ihrem Statement betont sie die Komplexitäten des Territoriums; die Armut, die Trockenheit, die Korruption der örtlichen Behörden, die Schwierigkeiten, denen El Cerrejón als verantwortungsbewusstes Unternehmen ausgesetzt sei – ein Unternehmen, welches jedoch der Region und seiner Bevölkerung zutiefst dankbar sei und alles tun möchte, um deren Situation gemeinsam zu verbessern. Damit ist die Diskussion bereits angestossen: das Publikum fordert mehr Klarheit darüber, was das Unternehmen denn genau tun wolle. Samuel Arregocés steht schon bereit, um Stellung zu nehmen. Doch vorerst wird die Diskussion von den Gastgebern unterbrochen – es soll noch die KOVI vorgestellt werden.
Ein erster Schritt hin zu mehr Verantwortung
Der Input erfolgt kurz und prägnant: Am Beispiel von Samuel Arregocés’ Geschichte wird erklärt, wie man im Falle einer Annahme der Initiative gegen El Cerrejón vorgehen könnte. Kernstück dieses Prozesses ist die Sorgfaltspflicht, die mit einer Annahme der KOVI zwingend würde. Dabei wären sowohl in der Schweiz beheimatete Unternehmen als auch alle Unternehmen, die von diesen kontrolliert werden, verpflichtet, auch im Ausland und vor allem in Ländern des Globalen Südens den internationalen Normen von Menschenrechts- und Umweltschutz nachzukommen. Damit sollen die oft zu laschen Standards – wie sie in Ländern wie Kolumbien vorkommen können – zugunsten einer strengeren Gesetzgebung ausgehebelt werden können. Diese Sorgfaltspflicht würde auch für El Cerrejón gelten, da Glencore mit seinen Besitzanteilen hier eine direkte Kontrolle ausübt. Die effektive Folge wäre, dass Glencore wegen Verstössen gegen die internationalen Standards sowohl der eigenen, als auch aller Tochterfirmen in der Schweiz verklagt und bestraft werden könnte. Dass es sich hierbei jedoch um keine allmächtige Waffe handelt, macht Samuel Arrogecés‘ Beispiel schnell klar: Denn, obwohl er Glencore verklagen könnte, liegt es doch an ihm, die nötigen Beweise zu finden und an ein Schweizer Gericht zu tragen. Dazu kommt, dass Probleme wie die Verschmutzung von Wasser oder Luft und der Ausbruch von Krankheiten aufgrund fehlender Vergleichsdaten von früher nur schwer zu beweisen und die Erfolgschancen somit nach wie vor äusserst klein sind. Nichtsdestotrotz – mit der Annahme der KOVI wäre ein erster Schritt getan, um multinationale Konzerne zur Verantwortung zu ziehen und Betroffenen wie der Bevölkerung der Guajira eine Chance zu geben, sich international zu verteidigen.
Wer spricht für die Guajira?
Die Diskussion, die folgt, bleibt dann vorerst schweizerisch. Es geht um Unternehmenssteuern, die effektive Umsetzung der Initiative und den Konsumgeist der Bevölkerung. Erst später fällt das Wort wieder an die angereisten Gäste. Es folgt ein Schlagabtausch zwischen Samuel Arregocés und Inés Andrade – er mit passioniert beharrlicher Stimme, sie mit der Ruhe und Sachlichkeit einer PR-Verantwortlichen. Ein Kernpunkt der Diskussion ist die Erholung und Renaturalisierung der Böden. Inés Andrare betont, dass beim Kohleabbau in der Guajira ein vorbildlicher Prozess ablaufe – die Böden, die das Unternehmen zurücklasse, seien in ausgezeichnetem Zustand. Zudem müsse man bedenken, dass die traditionelle Viehhaltung der lokalen Bevölkerung äusserst schädlich für die Böden war. Überhaupt schätzt sie die Situation in der Guajira positiv ein; die Region habe sich wirtschaftlich weiterentwickelt, das Unternehmen steuere 50% zum BIP der Region bei und es arbeiteten bei El Cerrejón sehr viele Indigene und Afrokolumbianer. Die Menschen der Region seien bestens vertreten und profitierten vom Unternehmen.
Samuel Arregocés kontert mit Gegenfragen: Wie viele Hektare des Landes sind auch wieder bewohnbar und mit Bäumen bewachsen? Wie kann ein Wiederherstellungsprozess von zehn Jahren einen tausendjährigen Baum ersetzen, der gefällt wurde, und wie kann ein für die indigene Bevölkerung heiliger Fluss, der nun trocken und vergiftet ist, seine Bedeutung wiedererlangen? Wirtschaftliche Abhängigkeit, so Arregocés, sei kein Indiz für Entwicklung und die Tatsache, dass einige seiner Landsleute Arbeit in der Mine bekommen hätten, hilft den vielen anderen, die durch die Mine ihr Land, ihr Leben und ihre Grundlagen verloren haben und in die Armut gestürzt wurden, nichts. Und vor allem seien all die Versprechungen von gemeinsamer Entwicklung und Wideraufbau nach wie vor hohl, solange nicht mit der Bevölkerung gesprochen wird, solange ihre Meinung nicht respektiert wird. Die Tatsache, dass Inés ihr letztes Statement wiederum erst auf Englisch abgeben möchte, bis sie erneut vom Publikum angehalten wird Spanisch zu sprechen, ist dann natürlich etwas unglücklich.
Wer hat das letzte Wort?
Es wird klar, dass es bei der Diskussion, die sich hier entfaltet, nicht nur um Schäden und Wiedergutmachung geht. Es geht auch um die Deutungshoheit der Geschichte der Guajira; um die Frage, wer diese Region vertritt und seine Geschichte schreibt. Ist es Inés Andrades Version einer unterentwickelten Region, die erst durch das Unternehmen und den Kohleabbau dynamisiert und modernisiert wurde, oder Samuel Arregocés’ Version von missachteten, selbstständigen Gemeinden, deren Land enteignet und zerstört und deren Stimme genommen wurde?
Am Schluss betont Samuel Arregocés, wie froh er sei, hier vor Publikum und dem Unternehmen seinen Standpunkt vertreten zu können. Obwohl er nicht in seine Gemeinde zurückkehren kann und schon erschöpft davon ist, auf nationaler Ebene erfolgslos zu appellieren, so könne er doch hier auf internationaler Bühne für seine Gemeinde sprechen. Er möchte noch zu einer umfassenden Antwort auf Inés Andrades’ Konzeption der Geschichte der Guajira kommen, doch wird dann von den Veranstaltern unterbrochen. Die Zeit sei leider vorbei – man hätte ja noch einen Apéro.
Bild: Samuel Arregocés und Jenny Paola Ortiz vor Publikum in Bern, Quelle: ask!, Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien.