Schönheitsbehandlungen gegen Falten sind beliebter denn je. Dass Botox ursprünglich als biologische Waffe zum Einsatz kam, ist hingegen wenig bekannt. Wie wurde der giftige Stoff zu dem Produkt, das wir heute kennen?
Das Spritzen von Botulinum-Toxin, kurz Botox, gehört zu den verbreitetsten Eingriffen in der Schönheitschirurgie: Im Jahr 2021 machten Botox-Behandlungen einen Drittel aller kosmetischer Eingriffe in Deutschland aus. Sie stehen damit zuoberst auf der Rangliste der Interventionen in der plastischen Chirurgie. Bekannt wurde Botox in den Nullerjahren, vor allem durch seine Verbreitung in der Filmbranche: Fotos der aufgedunsenen Gesichter prominenter Schauspieler:innen wie Nicole Kidman, Renée Zellweger oder Zac Efron zierten damals die Titelseiten von Boulevard-Zeitungen. Der Einsatz von Botox nahm zuweilen solche Ausmasse an, dass sich Produzent:innen und Regisseur:innen weigerten, Schauspieler:innen einzustellen, denen man die Behandlung ansah. «We’re forever getting actresses who have had so much Botox that they simply can’t move their faces properly any more», klagte Paul de Freitas, Casting-Direktor des British Film Institute, im Jahr 2003. Doch was genau ist Botox überhaupt?
Botulinum-Toxin gehört zur Klasse der Neurotoxine, auch bekannt als Nervengifte. Diese Stoffe unterbrechen die Freisetzung von Acetylcholin, einem Neurotransmitter, der für die Übertragung von Reizen an anliegende Nervenzellen zuständig ist. Dies führt zu einer Lähmung der betroffenen Muskelpartien und mit einer genügend hohen Dosierung zum Tod durch Ersticken. Bei einer winzigen Dosis sorgt Botox hingegen für ein verjüngtes Aussehen, indem es Falten glättet und die Haut strafft. Bemerkenswert ist dabei, dass Botox zu den giftigsten Stoffen der Welt zählt. Bereits ein einziges Gramm pures Botox würde theoretisch ausreichen, um mehr als eine Million Menschen zu töten. Dass sich diese extrem hohe Toxizität nebst der Anwendung in der Schönheitsindustrie auch für andere, weit weniger harmlose Zwecke eignet, spiegelt sich in der dunkleren Geschichte des Giftes wider.
Erste Aufzeichnungen der Verwendung von Botulinum-Toxin als biologische Waffe stammen aus den 1930er-Jahren: Damals testete die berüchtigte «Spezialeinheit 731» der Kaiserlich Japanischen Armee heimlich biologische und chemische Waffen an Kriegsgefangenen in der besetzten Mandschurei. Neben anderen bakteriellen Erregern wurde auch mit der tödlichen Wirkung von Botox experimentiert, wie der Generalleutnant der Einheit 731, Shiro Ishii, auch bekannt als der «japanische Josef Mengele», später gestand. Während des Zweiten Weltkriegs befürchteten die Alliierten aufgrund verschiedener Hinweise ihrer Geheimdienste, dass es zum Einsatz von Botox auf Seiten Nazi-Deutschlands kommen könnte. Diese Angst, erreichte ihren Höhepunkt während der Vorbereitungen der Alliierten zur Operation Overlord, der Invasion der Normandie. Sie stellte sich im Nachhinein jedoch als unbegründet heraus: Hitler erkannte in der biologischen Kriegsführung wenig Potenzial und hatte die Forschung an offensiver biologischer Kriegsführung verboten. Die Entwicklung von Botox als biologische Waffe ebnete jedoch den Weg für dessen medizinische Erforschung.
Wie so manche medizinische Innovation ergab sich die plastisch-chirurgische Anwendbarkeit von Botox aus einer Aneinanderreihung von Zufällen. So wurde Botox in den 1970er-Jahren zunächst als alternative Behandlung gegen zuckende Augenlider oder Schielen verwendet, da die damalige Standardprozedur, eine Operation der betroffenen Augenmuskeln, oft nicht zu den erwünschten Resultaten führte. Der Wissenschaftler Dr. Alan Scott berichtete bereits nach den ersten Tests von Botox an Tieren über positive Ergebnisse: «I could immediately tell the value of botulinum toxin». Während Scott von Beginn an klar war, dass Botox sich zur Behandlung verschiedener muskulärer Einschränkungen eignen würde, war dessen Einsatz für schönheitschirurgische Zwecke zunächst kein Thema. Erst in den 1980er-Jahren entdeckte die kanadische Ärztin Jean Carruthers zusammen mit ihrem Mann die faltenglättende Wirkung von Botox zufällig: So habe sich eine Patientin, die aufgrund eines Augen-Spasmus mit Botox behandelt wurde, eines Tages bei Carruthers darüber beklagt, dass diese bei der letzten Behandlung die Spritze zwischen den Augen vergessen habe. Auf Nachfrage der Ärztin, ob sie auch an dieser Stelle an einer Verkrampfung leide, habe die Patientin geantwortet: «Natürlich nicht, aber jedes Mal, wenn Sie mich dort behandeln, bekomme ich diesen wundervoll unbeschwerten Gesichtsausdruck». Damit wurde Carruthers klar, welches Potenzial in Botox steckte. Es begann der rasante Aufstieg des Produkts.
Für die zunehmende Popularisierung von Botox werden mitunter auch die postfeministischen Bestrebungen der 1990er-Jahre verantwortlich gemacht, die zum Aufkommen neuer Schönheitsnormen führten. Eines der Hauptanliegen war, dass sich Frauen ihre – durch die Gesellschaft sexualisierten Körper – durch selbstbewusste Inszenierung wieder aneignen. Brüste, Hüften und Lippen durften wieder stärker betont werden, was sich wiederum auf die Schönheitschirurgie der Zeit auswirkte. Angetrieben durch die neuen Darstellungen von Weiblichkeit in der Öffentlichkeit, etwa in Werbekampagnen, mit Celebrities wie den Spice Girls oder später in Fernsehserien wie Desperate Housewives, wurden schönheitschirurgische Eingriffe normalisiert: Der Gebrauch von Botox stieg 1997 in den USA so stark an, dass es zu kurzfristigen Lieferausfällen kam. Um die panischen Verbraucher:innen zu beruhigen, verkündete die New York Times: «Drought Over, Botox is Back».
Nebst seiner Verwendung in der plastischen Chirurgie wird Botox mittlerweile auch zur Behandlung von Kopfschmerzen, Nackenproblemen und sogar Depressionen verwendet. Damit wird es dem Ruf des Allheilmittels immer mehr gerecht. Auch hinsichtlich des kosmetischen Gebrauchs von Botox hat sich einiges verändert: Während Botox früher vorwiegend von älteren Frauen verwendet wurde, um ihren fortschreitenden Alterungsprozess hinauszuzögern, greifen nun vermehrt auch Männer und Junge zu Botox. 2021 wurde das Verabreichen von Botox an Minderjährige in England verboten, da sogar Jugendliche sich vermehrt Botox spritzen liessen. Zudem wird Botox auch präventiv als sogenanntes «Babybotox» eingesetzt, um möglichst früh die Faltenbildung zu verhindern. Alt werden ohne Botox scheint heute nicht mehr zu gehen. Zumindest nicht für die 73-jährige Jean Carruthers, die sich nun über dreissig Jahre lang Botox spritzen liess. Auf die Frage, was passieren würde, wenn sie dem Bo- toxspritzen ein Ende setzen würde, antwortet sie:
«Die Augenbrauen würden absacken, ich würde müde, frustriert und zornig aussehen, und ich bin nun wirklich keine frustrierte und zornige Person. Mein Äusseres entspräche also nicht mehr meinem Inneren, und dadurch würde ich wahrscheinlich in eine Depression verfallen».
Literatur:
Nigam, P. K.; Nigam, Anjana: Botulinum Toxin, in: Indian Journal of Dermatology 55 (1), 2010, S. 8–14.
Ross, Karen: Ageing Women on Screen. Disgust, Disdain and the Time’s Up Pushback, in: Scarcelli, C. M.; Chronaki, D.; De Vuyst, S.; Villanueva Baselga, S. (Hg.): Gender and Sexuality in the European Media, 2021.