«Wenn man sich nicht zeigt, überlässt man die Bühne den anderen»

Aktiv die Öffentlichkeit suchen, einen auf zurückhaltende experten machen oder in den Hinterzimmern lobbyieren – was sollen Wissenschaftler in einer Demokratie?

Die Barhocker waren vielleicht keine so gute Wahl. Unruhig rutschten die vier Podiumsgäste und der Moderator auf den unbequemen Sitzen umher. Sie wussten nicht wohin mit ihren Händen und Beinen – und manchmal auch nicht so recht wohin mit ihrer Meinung.

Dabei ging es an diesem Abend in der Uni Zürich – organisiert von DemocracyNet.eu – um Fragen, die den Saal mehr als nur halb hätten füllen sollen: Was ist die Funktion von Wissenschaft in einer Demokratie? Und wie sollen sich Wissenschaftler öffentlich äussern?

«Wir müssen uns äussern»

Am klarsten war die Meinung von Michael Hermann, Leiter der Politforschungsstelle Sotomo und Kolumnist beim Tages-Anzeiger. In einer Zeit, in der es dank neuer Technologien leichter werde, Unwahrheiten zu verbreiten, müssten sich Wissenschaftler aktiver in Diskussionen einbringen und näher zu den Leuten. «Wenn man keine Position bezieht, gibt man den Lautesten recht.»

Von Herrmann stammte denn auch das wohl stärkste Votum dieses Abends: «Wir sind nicht mehr in einer Welt, in der der Kampf um Wissen innerhalb einer Elite stattfindet. Wir sind in einer offenen Welt. Wir müssen uns äussern.»

Achtung, «bullshit-trap»

Mit dieser Meinung lag Hermann klar im Clinch mit Thomas Widmer, Professor für Politikwissenschaften an der UZH. Widmer sagte, er trenne seine Rolle als Wissenschaftler klar von der als Bürger, und sprach von der Gefahr einer rufschädigenden «bullshit-trap», wenn man sich ausserhalb seiner Expertise äussere. Hermann griff er frontal an: «Wenn du häufiger deine Meinung äusserst, wird die Debatte also versachlicht?»

Politische Entscheidungsträger, argumentierte Widmer, könne man auch anders beeinflussen als über die Öffentlichkeit. «Hinter den Kulissen also», bemerkte Moderator Peer Teuwsen, bei der Neuen Zürcher Zeitung Leiter der Magazine Campus und Geschichte.

Neue Themen, keine Antworten

Wann immer die Debatte aber dergestalt in Kleinkriege abzugleiten drohte, war eine Historikerin (wer sonst?) mit ein paar Meta-Beobachtungen zur Stelle. Svenja Goltermann, Geschichtsprofessorin an der UZH und Mitherausgeberin der Plattform Geschichte der Gegenwart, schien für unaufgeregte, aber durchdachte Voten zuständig zu sein.

So gab sie zu bedenken, dass der Gegensatz zwischen Wissenschaftlichkeit und persönlicher Meinung konstruiert sei, da Wissenschaftler immer standortgebunden seien. Objektivität sei aber durchaus auch möglich, wenn man von einem klaren Standpunkt aus argumentiere.

Weiter gab Goltermann zu bedenken, dass Wissenschaft mehr könne, als auf gesellschaftliche Fragen zu reagieren. «Man kann in einer Debatte auch neue Denkräume öffnen – ohne Antworten zu bieten», sagte sie. Relevante, aber kaum diskutierte Themen anzusprechen, sei gerade in einer Zeit wichtig, in der die Medienlandschaft nach rechts drifte. «Wenn man sich dann nicht zeigt, überlässt man die Bühne den anderen.»

Wissenschaft braucht Legitimität

Den anderen die Bühne überlassen musste in der Debatte zuweilen Katja Gentinetta, politische Philosophin und Ex-Moderatorin der Sternstunde Philosophie am Schweizer Fernsehen. Die Punkte, die sie vorbrachte, sassen jedoch: Das Schweigen der Wissenschaftler habe zur Annahme der Masseneinwanderungsinitiative beigetragen. Um also künftig gehört zu werden, brauche es vorab eines: «Wissenschaft muss öffentliche Legitimität erringen.»

Gentinetta warnte Forscher davor, es sich dabei zu leicht zu machen: «Es ist etwas gar einfach zu sagen: Hier sind die Fakten, die Politik soll sich um den Rest kümmern.» Aber so argumentierten viele – beispielsweise Ökonomen des Think-Tank Avenir Suisse, dessen stellvertretende Direktorin sie bis 2011 war.

Engagieren – irgendwie

Wie nun also die Rolle von Wissenschaftlern in einer Demokratie aussehen sollte: Ob sie aktiv die Öffentlichkeit suchen, zurückhaltend als Experten fungieren, in Hinterzimmern lobbyieren oder sich schlicht mehr in die Lehre knien sollten. Darüber war man sich wenig überraschend nicht einig. Aber dass es Engagement braucht: Immerhin das war allen klar.

Die Barhocker waren also vielleicht doch keine so schlechte Wahl: Wie bei der Wissenschaft in der Demokratie wusste niemand so genau, wie man sich nun positionieren sollte. Aber irgendwie klappte es am Ende dann doch.