Zeitreise durch 70 Jahre TV-Geschichte

Hedda Im Obersteg leitete das Digitalisierungsprojekt der 16-Millimeter-Filme. Bild: Isabelle Hausmann.

Das Filmarchiv des SRF beherbergt tausende Filmrollen aus der frühen Zeit des Fernsehens. Nun sind sie allesamt digitalisiert – ein wichtiger Beitrag zum Erhalt des audiovisuellen Erbes der Schweiz.

20’000 Film- und Tonrollen schlummern im Keller des SRF-Standorts Leutschenbach, verstaut in zahlreichen Schubladen und grossen Schränken. Bis in die 60er Jahre reichen die Video-Aufnahmen zurück, die hier unter den Fernsehstudios und dem Newsroom lagern. Alle diese 16-Millimeter-Filme sind inzwischen digitalisiert. Vergangenen Jahres kam das Megaprojekt zum Abschluss. Während vier Jahren haben vier Mitarbeitende der Abteilung „Recherche und Archive R&A“ des SRF in Zusammenarbeit mit zwei spezialisierten externen Firmen Filmrolle um Filmrolle dokumentiert, gereinigt und in ein Computersystem eingelesen. Hedda Im Obersteg leitete diese Unternehmung: „Herausfordernd war vor allem das Abgleichen der Metadaten mit den Filmrollen“, sagt Hedda. „Das heisst zum Beispiel sicherzustellen, dass jede schriftlich notierte Filmrolle auch wirklich physisch vorhanden ist.“ Bei Tausenden Exemplaren ist es gar nicht so einfach, den Überblick zu behalten – zumal eine zentrale Lagerung in der Anfangszeit des Fernsehens ein Fremdwort war.

Vom unorganisierten Sammeln zur professionellen Archivierung

Am 20. Juli 1953 flimmerte die erste Sendung des damaligen Fernsehens DRS über die Schwarzweiss-Bildschirme. Zu der Zeit sammelten die Sendungsredaktionen, damals im Zürcher Seefeld beheimatet, ihr Filmmaterial selbst – lose und unorganisiert. Die Filmrollen lagen auf Gestellen, in Kartonschachteln, auf Bürotischen. Als richtungsweisend für die professionelle Archivierung erwies sich Paul Früh, der im Jahr 1966 Leiter des Filmarchivs wurde. Vor ein paar Jahren ist er verstorben. Früh trug dazumal viel zur nachhaltigen Sicherung und vor allem zur Zentralisierung der Filmbestände bei. Er führte Bestandsaufnahmen durch, begann in allen Redaktionen Filmrollen einzusammeln und setzte sich für einheitliche Archivierungskriterien ein. Mediendokumentalistin Yvonne Alberto erinnert sich an den energischen Früh: „Ein quirliger, weltoffener Chef, mit dem man über alles reden konnte.“ Er setzte sich sehr für gute Arbeitsbedingungen ein und kämpfte unentwegt um mehr Geldmittel für die Pflege des Archivbestands – ein Kampf, den seine Nachfolgerin Sandra Figini weiterführte. In den frühen 70er Jahren, also rund 20 Jahre nach Sendestart, realisierten die Archivmitarbeitenden in den Räumlichkeiten beim Leutschenbach das zentralisierte Filmarchiv.

Dort lagern die Filmrollen bis heute. Doch die Zeit ging nicht spurlos an ihnen vorbei. Falsch gelagerte Filme, die sich im Auflösungszustand befanden, mussten schon unter Paul Früh und seinem Team zerstört werden. Auch die Projektleiterin Hedda kennt das Problem. Daher sind die richtigen Lagerbedingungen das A und O: „Etwa zehn Grad und um die 20 bis 50 Prozent Luftfeuchtigkeit sind das optimale Klima“, sagt Im Obersteg. So schützt man die Filmrollen besser vor dem Essigsäure-Syndrom, das heute die grösste Gefahr für die Bänder darstellt: Durch eine chemische Reaktion wird das Material aus Acetat zersetzt und bei fortschreitendem Befall unbrauchbar gemacht.

So sieht eine vom Essigsäure-Syndrom betroffene Rolle im Extremfall aus. Bild: SRF Archiv.

Vollständig ist das Archiv also allemal nicht. Und das liegt nicht nur daran, dass Rollen kaputtgingen. Gewisse Sendungen wurden gar nicht erst aufgezeichnet. Bis zur Einführung der Magnetband- (MAZ) und Filmaufzeichnungstechnik in den 60er Jahren war das für live ausgestrahlte Sendungen nämlich überhaupt nicht möglich. Und auch danach blieb ein Problem: „Diese sogenannten MAZ-Bänder waren sehr teuer“, erzählt Hedda. Mehr als 1’000 Franken kostete ein Band. Daher überspielte man sie mehrmals mit neuen Aufnahmen. Von der beliebten Unterhaltungssendung aus den 1970ern „Teleboy“ existieren beispielsweise nur noch 19 von 36 je ausgestrahlten Shows.

Die Archivöffnung

Einige TV-Stücke sind also für immer verloren. Dafür kann aber immer mehr von dem, was erhalten geblieben ist, online abgerufen werden. Seit 2016 ist das Schweizer Radio- und Fernsehen rechtlich verpflichtet, seinen schier unerschöpflichen Schatz an Film- und Audiodokumenten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Das hat der Bundesrat bei der Revision der Radio- und TV-Verordnung im Jahr 2016 festgeschrieben. Im erläuternden Bericht des Bundesamts für Kommunikation werden die Archive der SRG, der landesweit grössten Produzentin von Filmdokumenten, als „wichtige Stützpfeiler des audiovisuellen Erbes der Schweiz“ bezeichnet. In der SRF Mediathek sind dementsprechend über eine Million Videos und Audios aus 100 Jahren Radio- und 70 Jahren Fernsehgeschichte zu finden. Unermüdlich laden die Dokumentalist*innen weitere Beiträge, Sendungen und Filme aus dem SRF-Fundus hoch, ausgewählte Stücke werden als ‚Archivperlen’ publiziert.

Es lohnt sich, darin zu stöbern: besonders Beiträge aus dem Ratgeber Format, in denen die damals neuste Computertechnik dem Publikum nahbar gemacht wurde, bringen Zeitreisende aus dem 21. Jahrhundert zum schmunzeln. Die Archivstücke eignen sich auch hervorragend als Quellenmaterial für Studierende; gerade Nachrichtensendungen vermitteln wie kaum andere Quellen den Zeitgeist einer Gesellschaft. So werden in einer 1974 in der Tagesschau erschienenen Reportage Nachtzüge zum Relikt aus vergangenen Zeiten erklärt.

Die Digitalisierung hat die Archivöffnung in der heutigen Form erst möglich gemacht. Mediendokumentalistin Marta Oberarzbacher erinnert sich an die Zeit vor der Digitalisierung: „Vorher mussten externe Kunden zu uns ins Haus kommen, Kassetten visionieren. Oder wir mussten ab Kassette DVDs brennen und per Post verschicken.“

Heute laufen alle neuen audiovisuellen Files automatisch in die digitale Datenbank, wo sie von den Dokumentalist*innen erschlossen und nach und nach in der Mediathek publiziert werden. In den Redaktionen stapeln sich keine Kassetten und Filmrollen mehr, die Fernsehschaffenden arbeiten mittlerweile mit Festplatten und Software. Im Archivkeller aber liegen die 16-Millimeter-Filme als stille Zeugen einer vergangenen Fernsehzeit. Was passiert nun mit ihnen, da sie alle digitalisiert sind? „Wir bewahren die Rollen auf unbestimmte Zeit auf“, sagt Hedda. Beim alten Filmtisch, ein Stockwerk über dem Keller, lassen sie sich sogar einfädeln und abspielen – und wecken bei den ein oder anderen Filmfreund*innen bestimmt etwas Nostalgie.