Unterstellt statt gleichgestellt – Rost und Osterloh schauen auf Studentinnen herab

(Illustration: Michèle Bischoff)

Katja Rost und Margit Osterloh, die jetzige und die ehemalige Präsidentin der universitären Gleichstellungskommission, zementieren traditionelle Rollenbilder, sprechen Studentinnen Diskriminierungserfahrungen ab und spielen den Konservativen in die Hände. Geht’s noch?! Ein Kommentar von Studentinnen aus der etü-Redaktion.

Vor gut einer Woche schlug die “Akademikerinnen wollen lieber einen reichen Mann statt Karriere”-Studie von Katja Rost und Margit Osterloh grosse Wellen. Schweizer Medienhäuser gaben die Ergebnisse völlig unreflektiert, unhinterfragt und mit reisserischen Überschriften an die Leser:innen weiter. Exemplarisch zu nennen sind die Artikel von den mit der Weltwoche kuschelnden Tagi-Journis Rico Bandle und Michèle Binswanger. Noch fragwürdiger als die erwähnten Artikel ist die Studie selbst. Weder ist das bisher unveröffentlichte Paper richtig einzusehen, noch ist bis jetzt ein Peer-Review erfolgt. Unabhängige Forscher:innen konnten das Paper also noch gar nicht überprüfen. Die Hinweise häufen sich indes, dass die Studie bereits in ihrer Art der Befragung methodische Mängel aufweist.

Feinfühlige Frauen und hartnäckige Männer?

Die Studie sollte die Gründe für die sogenannte ‘Leaky Pipeline‘ offenbaren, also herausfinden, warum der Anteil der Frauen mit jeder akademischen Stufe abnimmt. Je weiter in der Karriere-Pipeline, desto grösser scheint das Leck, durch das Frauen ‚abtropfen‘. Die Studie strotzt vor Geschlechterstereotypen, die durch Suggestivfragen reproduziert werden, wie Sarah Scheidmantel, Historikerin an der UZH, auf Twitter ausführt. Sie hatte bereits Einsicht in das noch unveröffentlichte Paper. So hätten die Studienteilnehmenden Aussagen wie “Es ist besser, wenn die Mutter die Kinderbetreuung übernimmt.” oder “Hausfrau zu sein ist genauso erfüllend wie eine bezahlte Arbeit” bewerten müssen. Zudem sollten sie zutreffende Eigenschaften auswählen, wobei für Frauen und Männer eine unterschiedliche Auswahl zur Verfügung stand: u.a. “feinfühlig”, “sinnlich” und “anmutig” für Frauen, “hartnäckig”, “kraftvoll” und “furchtlos” für Männer. 

Auf methodischer Ebene erscheint ein weiteres “Detail” mehr als fragwürdig. Die in der Studie vorgenommene Einteilung in “Frauen-” und “Männerfächer”, die an sich bereits wieder Stereotypen reproduziert, wurde quasi fingiert. Für die “Frauenfächer” wurde der Anteil weiblicher Studierenden des jeweiligen Fachs an der UZH genommen, für die “Männerfächer” die Männerquote der einzelnen Fächer an der ETH. Das, obwohl es Teile dieser Disziplinen auch an der UZH gibt, wo der Geschlechterunterschied viel kleiner ist. Mit dieser Aufteilung haben Rost und Osterloh die Aussagekraft ihrer Ergebnisse künstlich und mit Methoden im dunkelgrauen Bereich erhöht. 

Die Unterteilung in binäre Geschlechter und die stereotypen Rollenbilder sind dabei erst der Anfang des konservativen Gedankenguts der Autorinnen, das sich durch die gesamte Studie zieht. Sozioökonomische Faktoren wie fehlende oder überteuerte Kita-Plätze, den Gender Pay Gap, den kurzen Vaterschaftsurlaub und unbezahlte Care Arbeit lässt das Paper völlig aussen vor. Zudem strotze die Studie nur so von Heteronormativität, Lebensentwürfe und Familiensituationen abseits vom Vater-Mutter-Kind-Schema wurden in der Studie übergangen, Patchwork- oder Regenbogenfamilien nicht mitgedacht.

Scheidmantel konstatiert: “Dass Frauen aus der Academia droppen, weil das Arbeitsumfeld diskriminierend, unsicher, toxisch und nicht Freizeit- und familienfreundlich ist, wird in der Studie gänzlich unbetrachtet gelassen.”

Weil Frauen in der Steinzeit nicht jagen waren

Dass genau diesen zwei Professorinnen solche “Fehler” passieren, erstaunt uns leider nicht. Das obwohl sowohl Katja Rost, die aktuelle Präsidentin der Gleichstellungskommission (GLK) der UZH, als auch die emeritierte Wirtschaftsprofessorin Margit Osterloh das gleiche Amt von 1996-2000 innehatten. Hätten wir mehr von Frauen erwartet, die sich angeblich für Gleichstellung einsetzen? Ja! Doch ein Blick auf ihre Vergangenheit erklärt einiges.

Rost ist bereits in ihren Vorlesungen durch unwissenschaftliche Aussagen aufgefallen. Eine der Redaktion nahestehende Soziologiestudentin besuchte Rosts Einführungsveranstaltung “Wirtschaft und Gesellschaft”. In der Vorlesung erklärte Rost die Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen in den oberen Führungspositionen der Privatwirtschaft: Es liege daran, dass Frauen den Wettbewerb scheuen. Und warum scheuen Frauen den Wettbewerb? Dafür gebe es zwei plausible Erklärungsansätze: a) “Es liegt an ihrer Natur” b) “Es liegt an ihrer Erziehung”

Katja Rost suggeriert tatsächlich, dass Frauen weniger Karriere machen, weil sie in der Steinzeit nicht jagen waren. Frauen sind also seit eh und je nicht für den harten Kampf gemacht, die eine Karriere im Sinne Rosts erfordert. Auf die Bemerkung der Studentin, dass diese steinzeitliche Rollenverteilung mittlerweile wissenschaftlich widerlegt wurde, und dass es im Allgemeinen fragwürdig sei, Rollenbilder mit der “Natur” zu rechtfertigen, entgegnete Rost: “Sie kennen sich wohl besser aus in diesem Thema als ich, aber auch Feministen [sic!] müssen sich damit auseinandersetzen, nicht immer recht zu haben”…

Screenshot der Vorlesungsfolien „Wirtschaft und Gesellschaft“ (FS20)
(Quelle: Katja Rost)

Als Soziologieprofessorin steht Rost zudem stellvertretend für eine positivistische Sozialwissenschaft, die mittels quantitativer Methoden eine vermeintlich objektive Wahrheit erfassen möchte – und dabei qualitative Methoden aussen vorlässt. Dass die quantitative Forschung durch unhinterfragte Kategorisierungen, Verallgemeinerungen, Auslassungen und durch die unkritische Übernahme von gesellschaftlichen Konzepte leider oft blinde Flecken hat, passt nicht in ihr Selbstverständnis. Aus unserer Sicht ist es unerlässlich, dass sich quantitative Forschungsansätze viel mehr auch der qualitativen und historischen Methoden bedienen, und diese kombiniert werden.

Wird den Frauen Diskriminierung nur eingeredet?

Und wer ist eigentlich die zweite Studienautorin Margit Osterloh? Auf der Website der GLK erzählt sie, sie sei “wie ein Junge aufgezogen worden” und habe dann ein “typisches Männerfach” gewählt, Maschinenbau. Sie sei oft die einzige Frau weit und breit gewesen und habe sich “gegen die geballte männliche Übermacht” durchsetzen müssen. Sie habe jedoch die Flucht nach vorn ergriffen, sich Anerkennung erworben und das Studium schliesslich als eine der Besten abgeschlossen. Osterloh heiratete dann einen Mann, der die Firma ihres Vaters übernahm, und promovierte nach ihrem Gatten auch noch. “Sie genoss ihre neu errungene Freiheit, obwohl es nicht leicht war, Kindererziehung und Promotion gleichzeitig zu bewältigen.” 

Für viele Frauen ist ein solcher Lebenslauf, selbst wenn sie es wollten, unmöglich. Als “Cheftochter” (Eigenbezeichnung) musste sich Osterloh vermutlich nie um die (selbstständige) Finanzierung ihres Studiums und der Lebenskosten sorgen. Und anstatt zu sagen: “Heutige Studentinnen sollten es nicht mehr so schwer haben wie ich”, suggeriert ihr Interview, dass sie es noch viel schwerer hatte sich durchzusetzen, aber sie es schlussendlich geschafft hat. Alle anderen Frauen könnten folglich mit genug Anstrengung und dem richtigen Mindset das Gleiche erreichen und sollten sich gefälligst nicht beklagen. 

Sie scheint zu vergessen, dass viele Frauen keinen reichen Vater haben, viel unbezahlte Care-Arbeit bewältigen müssen und dann verständlicherweise nicht mehr die Energie haben, eine “Karriere” im Sinne der beiden Studien-Autorinnen hinzulegen. Dieses Unverständnis zeigt sich in Osterlohs Aussage im Tagesanzeiger-Interview mit Rico Bandle:

“Aus den Antworten der Studentinnen geht beispielsweise nirgends hervor, dass sie an der Uni aufgrund ihres Geschlechts je einen Nachteil erfahren haben. Trotzdem antworten viele der Frauen in frauendominierten Fächern auf die letzte Frage, ob sie sich als Frau benachteiligt fühlen, häufig mit «Ja». […] Ich kann mir das nur damit erklären, dass den Frauen ständig eingeredet wird, sie würden diskriminiert. Die Studentinnen haben dies verinnerlicht, auch wenn sie das selber nie so erlebt haben.”, sagt Margit Osterloh. 

Die Aussage Osterlohs ist ein Hohn aller Studentinnen, Doktorandinnen und Forscherinnen im universitären Kontext, die alle tagtäglich geschlechterbasierte Diskriminierung erfahren.

„Zusammen mit einem Mitstudenten und einer Mitstudentin wurde ich als Mitarbeiterin bei einem Lehrstuhl-Projekt angestellt. Bei der Kick-Off-Sitzung wurde uns mitgeteilt, dass meine Mitstudentin und ich die Sekretariatsarbeiten übernehmen würden. Der andere Teil der Projektarbeit, der mich eigentlich interessiert hatte, und weswegen ich mich überhaupt für das Projekt beworben hatte, war ungefragt schon vor der Sitzung – ohne Absprache mit uns – meinem Kommilitonen zugeteilt worden. Die Begründung: Diese Arbeit erfordere technische Kenntnisse und bei denen seien Männer nun mal besser.“

Franziska*, studiert am Historischen Seminar der Universität Zürich

„Ich hatte meine mündliche Prüfung bei einem – für seine sexistischen und rassistischen Aussagen bekannten – Professor. Nachdem er mir die normalen Fachfragen gestellt hatte, zeichnete er eine Herdplatte auf ein Blatt Papier. Er fragte mich: “Was sehen Sie hier?”, darauf antwortete ich “Ein Herd”. Seine Antwort: “Genau, und da gehören Sie auch hin.“

Clara*, studiert Zahnmedizin an der Universität Zürich.

„Unsere Dozentin sprach über den Einsatz vom Genderstern in unserer Arbeit. Darauf meldete sich ein männlicher Mitstudent. Er fragte: “Was, wenn ich keine Frauen in meiner Arbeit mit einbeziehen will?” Auf die Frage, wieso er das nicht wolle, antwortete er: “Weil Frauen sowieso schon genug Aufmerksamkeit erhalten.“

Leonie*, studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Zürich.

* Namen durch die Redaktion geändert.

Osterloh polarisiert aber nicht nur mit ihren geschlechter-stereotypischen Aussagen. Sie schloss sich der “allesdichtmachen-Aktion” an, die im Frühjahr 2021 schwurbelnde deutsche Promis und Pseudo-Intellektuelle ins Leben riefen, um gegen die Corona-Massnahmen zu protestieren. In einem Youtube-Short sagt sie: “Das Coronavirus ist eingedämmt, das Autoritätsvirus leider nicht. Wir haben heute einen Sprachjakobinismus. Es gibt das N-Wort und es gibt das M-Wort, es gibt aber kein S-Wort mehr. Erinnert euch an Klaus Wowereit als der sagte: ‘Ich bin schwul und das ist gut so.’ Ich empfehle den Mohren von heute zu sagen: ‘Ich bin ein Mohr, und das ist gut so’.”

Wer finanzierte diese pseudo-wissenschaftliche Studie?

Zurück zur Studie. Bis zum jetzigen Zeitpunkt bleibt unklar, von wem die Studie in Auftrag gegeben wurde. Der Verdacht liegt nahe, dass die Studie vom privaten Thinktank Crema finanziert wurde, den Osterloh mitgegründet hat. In einem Interview, das am 13.05. im Tagesanzeiger erschienen ist, sagt Rost jedoch, die Studie sei im Auftrag der Uni Zürich gemacht worden. Die universitäre Gleichstellungskommission hingegen schrieb auf Twitter: “Die Gleichstellungskommission der UZH schätzt Forschungsfreiheit als hohes Gut. Die aktuell öffentlich thematisierte Studie von Katja Rost und Margit Osterloh ist eine unabhängige Forschung. Die UZH war an der Studie nicht beteiligt, wird sich aber mit den Ergebnissen auseinandersetzen.”

Wer hat nun diese Studie finanziert? Mit welchem Interesse? Wie so vieles, bleibt auch dies unklar. Klar hingegen ist für uns, dass sich diese Studie in ein Narrativ einreiht, das in den vergangenen Monaten von diversen Feuilletons, Politiker:innen und Wissenschaftler:innen gross gemacht wurde. Es ist ein Narrativ, das gegen Teilzeit-Arbeit, gegen die Geisteswissenschaften und ‘kiffende’ Geschichtsstudierende hetzt. Andrea Franc schrieb in ihrem vernichtenden Artikel “Die Studenten vergeuden ihre Zeit”, dass sich Teilzeit-arbeitende Geisteswissenschaftlerinnen diesen Lebensstil wohl aufgrund eines wohlhabenden Partners leisten könnten. Auch die Studie von Rost und Osterloh bietet den rechts-konservativen Kräften den Zündstoff, den sie für ihre antifeministische und auf Vollzeit-Karriere ausgelegte Politik brauchen. 

Obwohl sich die GLK der UZH von der Studie distanziert, finden wir es eine Frechheit, dass sich insbesondere Rost in dieser Art und Weise über Frauen in der Academia äussert. Wir wollen keine Gleichstellungsbeauftragte, die kapitalistische und patriarchale Vorstellungen von Karriere an die Uni trägt und Diskriminierungserfahrungen herunterspielt – von der Missachtung vom wissenschaftlichen Knigge ganz zu schweigen. Stell dir vor, du wirst diskriminiert und die Vorsteherin der Gleichstellungskommission sagt dir, dass du dir das nur einredest! Wir fordern eine offizielle Stellungnahme von Katja Rost und Margit Osterloh und eine Gleichstellungsbeauftragte, die sich tatsächlich für Studentinnen einsetzt!