Innert sieben Jahren von der fünften Liga in die Bundesliga aufgestiegen, dort nach der ersten Saisonhälfte gleich auf Platz zwei: Senkrechter als der Fussballclub RB Leipzig könnte man kaum starten. Zu verdanken ist der Erfolg dem Geld und der Planung von Red Bull. Für viele Fussballtraditionalisten und gegnerische Fans ist der Club darum ein Dorn im Auge.
«ANTI RB», «Football is for you and me, not for f*cking industry» oder «Kult gegen Kommerz» – es sind Slogans, die deutschlandweit Fussballfans in ihrer Abneigung gegenüber RasenBallsport Leipzig vereinen. Gegenüber einem Verein, der wie kein zweiter polarisiert und provoziert: Als Marketing-Projekt von Red Bull ins Leben gerufen, überflügeln die «roten Bullen» die Bundesliga und stehen aktuell auf Platz zwei. Die emotionale Debatte über Recht und Unrecht des «Projekts RB» gibt Anlass, einen Blick in die jüngere Leipziger Fussballgeschichte zu werfen.
Es bedarf nicht detaillierten Ausführungen, dass der erste Deutsche Meister aus Leipzig stammte, ebenda der Deutsche Fussballbund gegründet und über Jahrzehnte DDR-Spitzenfussball gespielt wurde. Eben die Geschichte einer stolzen Fussballstadt.
Als im November 1989 die Mauer fiel, blieb auch der bis anhin weitgehend isolierte Ostfussball von den Umwälzungen nicht unberührt. Reiner Calmund, gewiefter Manager von Bayer 04 Leverkusen und Mann der ersten Stunde, witterte die Chance sofort. Sechs Tage nach dem Mauerfall schlich sich dessen persönlicher Abgesandter bei einem Länderspiel der DDR-Nationalmannschaft auf die Spielerbank und ging auf erste Tuchfühlung mit seinen Wunschspielern. Keine zwei Monate später war der Transfer des damaligen DDR-Superstars Andreas Thom abgewickelt, weitere Wechsel schon in Planung.
Erst auf Anordnung des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl pfiff die geldgebende Bayer AG den umtriebigen Calmund zurück: Es war im Januar 1990 politisch nicht vertretbar, dass ein westdeutscher Grosskonzern sich innert Kürze die besten ostdeutschen Talente zusammenkaufte. Fürs Erste. In den darauffolgenden fünf Jahren folgten über 150 DDR-Spieler den lukrativen Lockrufen der Westvereine.
Zur Jahrtausendwende waren traditionsreiche Ostvereine wie Lokomotive oder Chemie Leipzig, aber auch Dynamo Dresden und Carl-Zeiss Jena, bereits in der sportlichen Bedeutungslosigkeit verschwunden. Die freie Marktwirtschaft, sowie das professionelle Fussballgeschäft, indem geschicktes Marketing und Vertragsklauseln zum Kerngeschäft gehörten, waren Neuland für deren Vereinsverantwortliche. Zu der ohnehin bedrohlichen finanziellen Lage und der Spielerflucht gesellten sich Misswirtschaft und ominöse Berater. Insbesondere in Leipzig hinterliess die Wiedervereinigung ein fussballerisches Vakuum. Die Zuschauer blieben immer häufiger aus, die einst pulsierende Fussballszene musste als Bühne für gewalttätige Hooligans und Neonazis herhalten.
Als 2008 der potente Getränkehersteller Red Bull an den Türen der Stadt anklopfte und sein Projekt vorstellte, war die Freude und die Neugierde bei den Leipzigern gross. Dank dem nötigen Kleingeld und sportlich-akribischer Arbeit, getragen auf einer Welle der Euphorie, eroberte sich Leipzig in Rekordgeschwindigkeit seinen Platz auf der Fussballlandkarte Deutschlands zurück.
Die Reaktionen auf das RB-Projekt fielen von Beginn an heftig aus. Nebst fragwürdigen Lizenzstreitigkeiten und der berechtigten Angst vor zunehmender Konkurrenz, war es eine allgemein angestaute Unzufriedenheit über die zunehmende Hoheit des Geldes im Fussball, welche im «Werbegag» RB ihre reine Inkarnation fand, die Anlass zu Kritik und teilweise geschmacklosem Aktionismus gab.
Nun, die Boykotte, Hasstiraden und Polemik qua Tradition und damit aus einer Position der vermeintlich moralischen Überlegenheit zu rechtfertigen, hat einen Hauch von Doppelmoral. Zweifelsfrei, der bittere Beigeschmack bei RB, er bleibt. Nur weil es gut für Leipzig ist, heisst das nicht, dass es gut für den Fussball ist. Es darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass der gesamte Verein und dessen sportlicher Erfolg letztlich nur einem streitbaren, ja kalkulierten Zweck dienen: mehr Dosen zu verkaufen. Sicherlich ein Novum, ein Alleinstellungsmerkmal – und doch die konsequente Perversion einer bereits langanhaltenden Entwicklung. Es war schliesslich nicht Red Bull, das am Wesen des Fussballs gekratzt hat. Seine «Unschuld» hat der Fussball schon viel früher verkauft. Das wissen sie in Leipzig nur zu gut. Ihnen die langersehnte Freude am Fussball zu nehmen, ist deshalb schlicht unfair.