11 Podcasts für Historiker*innen (und alle anderen)

(Foto: Unsplash, Victor Xok)

Geschichte studieren heisst: Lesen, lesen, lesen. Da mag man sich in der Freizeit oft nicht mehr gross Geschichtsmagazine und -blogs reinziehen – mit Ausnahme natürlich des etü. Verständlich. Doch: Geschichte kann man auch hören. Die zehn besten Podcasts für alle Geschichtsinteressierten, die «überlesen» sind, oder die auch beim Abwaschen gerne etwas über den Tellerrand hören möchten. Plus: Ein elfter als aktuelles Update.

«But Podcasts are a thing for nerds!» Das war es, was mein Tandem-Partner stirnrunzelnd auf meinen Vorschlag erwiderte, es auch mal mit den seriell erscheinenden Hörstücken zu probieren. Und er hat nicht ganz unrecht: Die Welt der Podcasts ist schier unerschöpflich. Vom Hörbuch in Serie bis hin zur sorgfältig recherchierten Reportage, von experimentellen Themensendungen über spannende Diskussionen bis hin zum klassischen Angebot der traditionellen Radiosender reicht das Angebot. Und ja, dasselbe gilt auch für die Themenbreite: Wenn man möchte, kann man sich mit «Britains Blue Disability Cars» oder waschbärensicheren Abfalleimern in Toronto beschäftigen und der Bedeutung des «Sofrito» für die puerto-ricanische Küche nachsinnen.

Ich lasse die Behauptung meines Freundes also gerne so stehen. Hinzufügen möchte ich dem lediglich, dass es unglaublich bereichernd ist, sich die Zeit beim Pendeln, Putzen, Auspowern oder Abwaschen mit den verblüffenden Audiodateien zu versüssen. Also: Die passende Podcast-App herunterladen (davon gibt es viele kostenlose, und auf dem iPhone ist bereits eine App vorinstalliert), sich durch die folgende Liste durchhören, und Inspiration für die nächste Seminararbeit ist gewiss.

1. Anno PunktPunktPunkt

Anno punkt

Vielleicht der «geschichtswissenschaftlichste» Podcast dieser Liste. Host Philipp Janssen spricht (zugegebenermassen unregelmässig) mit seinen (zugegebenermassen meist männlichen) Gästen über ihre Forschungsarbeit, und das ganz entspannt ausserhalb des universitären Rahmens. Sein erklärtes Ziel ist es dabei, ein «Schaufenster in die Geschichtswissenschaft» zu schaffen, wie er das im Podcastbeschrieb auf HSozKult nennt. Öffnen tut Janssen dieses Fenster, indem er nicht nur aktuelle Forschungsprojekte vorstellt, sondern sich auch mit der geschichtswissenschaftlichen Arbeitsweise beschäftigt. Und das ist natürlich nicht nur für das erklärte Zielpublikum, die geschichtsinteressierten Lai*innen, total interessant, sondern erlaubt es auch der Historiker*innenzunft, sich für einmal hörend über Vorgänge in ihrem Fach zu informieren. Empfehlenswert: Die Episode zur Geschichte des (Berliner) Zoos.

2. Zeitsprung

Zeitsprung

Seit fast drei Jahren senden die Historiker Daniel Messner und Richard Hemmer ohne Unterbrechung wöchentlich ihre «Geschichten aus der Geschichte». Abwechselnd erzählen sich die beiden was, und erinnern auf diese Weise nonchalant daran, dass auch Historiker*innen eigentlich nichts anderes tun, als Geschichten zu erzählen. Eine gehörige Portion Selbstironie lässt immer wieder schmunzeln, und dass an die Erzählstunde jeweils quellenkritische Überlegungen anschliessen, hat natürlich eine wunderbar beruhigende Wirkung auf mein Historikerinnenherz.

3. BBC Witness

bbc witness

Die Sendung des Mediengiganten lässt, wenig überraschend, Zeitzeug*innen zu Wort kommen, die sich an vergangene Ereignisse und Umstände erinnern. Dazu kommen sogenannte «Firsts» (The First Montessori Nursery, India’s First Nuclear Test, The First MRI Scan) und «Lasts» (The Last Keeper of the Light, The Last Days of Yasser Arafat), aber auch sozialgeschichtliche Themen. In den knapp neunminütigen Snippets bleibt leider nicht viel Zeit für theoretische Reflektion. Manchmal beschleicht einen daher das Gefühl, dass die Erzählungen der Menschen hier zwar wichtig, aber vor allem illustrativ bleiben. Die schiere Anzahl an Folgen und globalen Themen macht den Podcast trotzdem zu einer Schatzkammer, in der zu stöbern sich lohnt.

 

4. Stuff You Missed in History Class

Stuff

Während die Macher*innen von BBC Witness wenig Wert auf Metadaten wie Namen der Hosts, Literatur- oder Quellenangaben legen, sind die Frauen von Stuff You Missed in History Class um einiges transparenter. Die Hosts des seit 2008 (!) sendenden Podcasts, Tracy V. Wilson und Holly Frey, sind zwar keine Historikerinnen, aber verwenden für ihre thematischen Beiträge Fachliteratur, die sie ordentlich in den Shownotes zitieren. Sie haben eine Vorliebe für das Nacherzählen von Biografien und bewegen sich oft in der Geschichte der USA, haben aber auch Anderes auf dem Kasten: Das Podcastarchiv auf der Homepage lässt sich nach Themen, Zeit- und geografischen Bereichen durchstöbern.

5. That’s Ancient History

Ancient

Wäre ich nicht schon im Master, hätte mich dieser Podcast vielleicht zur Alten Geschichte bekehrt. Jean Menzies, Doktorandin in Classics (der angelsächsischen Entsprechung der Zürcher Kulturwissenschaft der Antike), plaudert mit unterschiedlichen Gästen über deren Arbeit. Mal ist es ein PhD-Student, der sich mit der Frage beschäftigt, ob um 500 v.Chr. von Kriegstraumata gesprochen werden kann, mal eine Buchautorin, die antike Mythen neu erzählt, und nicht selten unterhält sie sich mit Freundinnen aus dem Studium darüber, was Fantasyromane wie Harry Potter und Herr der Ringe mit griechischer Mythologie zu tun haben. Man hört zu, lernt, und wird von der Begeisterung angesteckt, mit der Menzies über ihr Fach spricht.

6. Soziopod

Soziopod

Studierst du im Nebenfach etwas anderes als Philosophie, Soziologie, Religionswissenschaften oder Pädagogik? Studierst du irgendwas, aber hast ständig das Gefühl, dass du eine kleine Auffrischung betreffend Fichte, Marx, Weber, Popper, Foucault et cetera brauchen könntest? Dann bist du bei Herr Breitenbach und Professor Köbel goldrichtig. In Folgen wie «Was ist das für 1 Luhmann» oder «Der Baum der Philosophie ist eine (Johann Gottlieb) Fichte» versuchen sie, verschiedene Denker*innen auf verständliche Weise aufzudröseln und deren Theorien auf ihre Relevanz zu befragen, ohne zu vereinfachen. Auch werden aktuelle Themen theoretisch diskutiert, so zum Beispiel in «Freiheit und Internet», «Arbeit, Arbeit» oder «Mein Kick, meine Ehre, meine männliche Gewalt». Dass dabei intensives Mitdenken gefordert ist, lässt glücklicherweise das schlechte Gewissen wegen der wartenden Seminararbeit gar nicht erst auftauchen.

7. Racist Sandwich

Sandwich

Spätestens seit der Lektüre von Sidney Mintz‘ «Die süsse Macht» für die mündliche Prüfung im Bachelor weiss ich, dass Essen nicht einfach Essen ist. Was wir uns und anderen leiblich zuführen, wie wir das tun und was wir darüber denken, ist eine Kulturform, gemütlich eingebettet in einem System von globalen Machtverhältnissen und Unterdrückung. «Food x Race x Class x Gender» – das ist die Formel des Racist-Sandwich-Podcasts. Weniger historisch als Mintz, dafür umso politischer schauen die vier Hosts auf Essen als Bedeutungsträger. Der Racist-Sandwich-Podcast kommt übrigens fast ohne Rezepte aus. Wer sich davon etwas mehr wünscht, ohne auf erzählenswerte und gut recherchierte Geschichten zu verzichten, sei – mit bestem Gruss an WG-Gspänli, Freunde und Familie – verwiesen auf «The Splendid Table».

8. Lila Podcast

Lila

«Sprechen Sie Feminismus?» fragen Susanne Klingner, Katrin Rönicke und Barbara Streidl auf der Website des Lila Podcasts. Diese Formulierung als klare Frage entspricht dem Podcast-Stil der drei Journalistinnen. Aktuelle Themen werden aus feministischer Perspektive hinterfragt, und zwar oft auf eine Art, die – wie es die Zeit formuliert – so manchen Aha!-Moment beschert. Ergebnisoffen, feinfühlig, und mit klarem Blick führen die Hosts Diskussionen untereinander oder mit Gästen. Insbesondere Folge 110 («Wir brauchen keine Frauenquote, sondern eine Feministinnenquote») und 112 («Feministische Aussenpolitik») bieten tausend Anlässe zum Nachdenken über Feminismen heute und in der Vergangenheit.

9. 99% Invisible

99 invisible

Was steckt alles hinter der materiellen Welt, die uns umgibt? Das fragen sich Roman Mars und sein Team im erfolgreichen Podcast 99% Invisible, der sich mit Architektur und Design beschäftigt und dabei derart weit schweift, wie es das Thema «Design» eben verlangen muss. Nicht nur darin überschneidet sich der Podcast mit der Geschichtswissenschaft. Wenig überraschend zieht sich die Auseinandersetzung mit der Geschichte von bestimmten Designs, Infrastrukturen und Architekturen als roter Faden durch die Folgen. Daneben lassen sich die einzelnen Podcasts auf der Website auch nach der Rubrik «History» filtern. Für einen Grossteil der Folgen sind dort übrigens auch Transkripte und Shownotes verfügbar. Ein anregender Podcast, der auf jeden Fall die eine oder andere Diskussion über die Agency von Objekten entfacht.

10. Verbrechen

Verbrechen

Auch grosse Medienhäuser sind in den letzten Jahren auf den Geschmack des Podcastens gekommen. Die Zeit-Journalist*innen Sabine Rückert und Andreas Sentker senden seit diesem Jahr zweiwöchentlich den Kriminalpodcast «Verbrechen». Jede Folge behandelt einen Aspekt des deutschen Justizwesens. Dabei lernt man so einiges über das Rechtssystem der Bundesrepublik und seine Probleme: Unerkannte Morde, rassistische Gerichte, unschuldig Verurteilte. Star der Show ist dabei Sabine Rückert. Lange Jahre war sie als Kriminalreporterin für die Zeit unterwegs und erzählt nun Sentker von ihren haarsträubendsten Fällen. Das tut sie mit so viel Verve, dass man sich streckenweise in einer Kurzgeschichte oder gar einem Märchen wähnt, und scheut es dabei nicht, psychologische Profile und moralische Urteile über die Beteiligten zu treffen. So entspricht dieser Podcast nicht nur einem Page-Turner in Hörformat, sondern lässt einen ab und zu auch innehalten: Wer erzählt hier Geschichten – und wie?

Update: Cliocast

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Auf verschiedenen Wegen hat uns inzwischen die Nachricht erreicht, dass seit diesem Herbst ein sozusagen hauseigener Podcast auf Sendung ist: Der Cliocast wird von einer Gruppe von Schweizer Historiker*innen – darunter auch bekannte Gesichter aus Zürich – zusammen mit dem Geschichtsportal infoclio.ch produziert. Es sprechen Historiker*innen über «ihre neuen Bücher aus der Schweiz und über die Schweiz». Ein kurzes Reinhören verrät allerdings, dass der Cliocast sich durch diese Orientierung an einer schweizerischen Historiker*innencommunity keineswegs einschränken lässt. So hat hier beispielsweise die deutsche Demokratieforscherin Hedwig Richter Platz, die zur Geschichte Deutschlands und der USA forscht, ebenso wie Dipesh Chakrabarty, der sich gleich über unseren gesamten Planeten und die Rolle unterhält, die dieser im historischen Denken spielen sollte. Ebenfalls nur wenig schweizerisch wird im Cliocast ausserdem der Röstigraben übersprungen, denn Co-Produzentin Eva Pibiri lehrt in Lausanne und führt ihre Gespräche auf Französisch. Cliocast hören ist also der beste Einstieg ins kommende Semester: Den Player an- und die Ohren aufmachen, neueste historische Forschung aus der Schweiz und anderswo kennenlernen sowie – en passant – Sprachkenntnisse aufpolieren.