Oppenheimer und die Atombombe

Oppenheimer wird als amerikanischer Volksheld gefeiert. Bild: Getty Images.

In Christopher Nolans neustem Streich wird der Erfinder der Atombombe als Opfer seiner eigenen Brillianz und tragischer Held belichtet. Fragen nach der Schuld und den wahren Leidtragenden dieses dunklen Kapitels der Geschichte lässt der Film allerdings unbeantwortet.

Christopher Nolan, der amerikanisch-britische Regisseur bekannt für Filme wie Interstellar, Inception, Dunkirk und die Dark Knight-Trilogie, hat in der aktuellen Filmlandschaft von verstaubten Superheldenfilmen und halbherzigen Disney-Remakes ein scheinbar vergessenes Genre aufleben lassen: Die Filmbiographie. Erzählt wird dabei die Geschichte von Robert J. Oppenheimer (Cillian Murphy), dem Erfinder der Atombombe und amerikanischen Volkshelden. Auch für die Besetzung der Nebenrollen hat sich Nolan die bekanntesten Namen Hollywoods zusammengesucht; Florence Pugh, Robert Downey Jr., Emily Blunt und Rami Malek, um einige von ihnen zu nennen.

Der Film beginnt mit einer Nahaufnahme des Protagonisten, gedankenversunken blickt Oppenheimer auf Regentropfen, die vor ihm in kleinen Pfützen Wellen schlagen. Dann Explosionen, Feuerbälle auf schwarzem Grund, begleitet von einer einzelnen, ominösen Geige. Schwarze Buchstaben erscheinen auf der Leinwand.

«Prometheus wurde von den Göttern bestraft, weil er den Menschen das Feuer gab.»

Dann die weite Wüstenlandschaft von Los Alamos, New Mexico, wo es am 16. Juli 1945 zur Zündung der ersten Atombombe kam.

Der dreistündige Film gliedert sich in drei Akte. Zu Beginn lernen wir den jungen Oppenheimer kennen, sein akademischer Werdegang in Europa wird etwas zu schnell abgehandelt, seine inneren Wirren mit der Visualisierung von abstrakten Formen und Mustern geschickt offengelegt.

Im weiteren Verlauf lernen wir, wie Oppenheimer die Kernphysik an die amerikanischen Hochschulen brachte, auch seine linke politische Gesinnung wird thematisiert, bevor es ans Kernthema des Films geht: Oppenheimers Einzug ins «Manhattan Project», der erfolgreichen amerikanischen Bemühung, als erste Nation eine Bombe zu bauen, die sich der Kernspaltung bedient.

Im dritten Teil setzt sich der Film mit der amerikanischen Politik nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki auseinander. Oppenheimers Sicherheitsfreigabe soll abgelehnt werden, wobei es zum informellen Prozess über sein Vermächtnis kommt. Als angeblicher Kommunist wird er aus der Atomic Energy Commission ausgeschlossen und verliert seinen Einfluss in der Weiterentwicklung atomarer Technologie.

Spannend ist, wie Nolan die Gesinnung Oppenheimers gegenüber der Bombe darstellt. Der Film lässt diesbezüglich zwei unterschiedliche Phasen erkennen. In der ersten Phase wird die Brillanz Oppenheimers ersichtlich, der wissenschaftliche Ehrgeiz, den die Wissenschaftler (es waren fast ausschliesslich Männer) antrieben und die drohende Gefahr, dass die Nazis eine Bombe vor ihnen entwickeln könnten. Uran muss schnellstmöglich angereichert und die logistischen Herausforderungen des Megaprojekts unter grösster Geheimhaltung gemeistert werden.

Dann, am Ende der Vorbereitungen, beim Zünden der ersten Atombombe beim Trinity-Test, kippt die Stimmung im Film. Der optimistische Ehrgeiz scheint verflogen zu sein, weggesprengt von der Detonation einer Kernwaffe. Zwei unheilvolle Kisten werden aus Los Alamos abtransportiert. Am 6. August 1945 erklingt die Ansprache Trumans im Radio, man hätte eine neuartige Bombe erfolgreich über Hiroshima abgeworfen. Tosender Applaus, und Oppenheimer sieht in einer surrealen Vision, wie sich die euphorischen Zurufe seiner Untergebenen in verzweifelte Schreie der Opfer der Atombombe verwandeln.

Die Frage, mit der sich der Film dabei auseinandersetzt, ist jene der Schuld an der Atombombe. In einer späteren Szene, einem Treffen Oppenheimers mit Präsident Truman im Oval Office, bekundet der Wissenschaftler seine moralischen Zweifel,er habe Blut an seinen Händen. Daraufhin reicht ihm der Präsident ein weisses Taschentuch. Niemand interessiere sich für die Person, die die Bombe gebaut hat. Er habe sie abgeworfen, er sei allein verantwortlich. Das Leid, das beim Abwurf über Hiroshima entstand – fast einhunderttausend Tote – wird stets nur impliziert. Nie werden den Zuschauenden die furchtergreifenden Zustände vor Augen geführt, selbst Oppenheimer schaut weg, als die Mitarbeitenden in Los Alamos über die Wirkung der Atombombe informiert werden.

Der Film lässt die Frage im Raum stehen. Viel wichtiger scheint die Bedrohung einer nuklearen Apokalypse, der Ausbau des Atombombenprojekts in der Nachkriegszeit wird vom nun bekehrten Oppenheimer kritisiert und angefochten. Mit der Erfindung der Kernspaltung sei die Möglichkeit erst aufgekommen, die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten gar nicht so wichtig. Dabei erinnert die Art, wie der Film die Unausweichlichkeit des Möglichen im Film präsentiert, ans Prinzip von Tschechows Waffe. Es besagt, dass eine in einer Geschichte gezeigten Waffe zwangsläufig abgefeuert werden müsse. Die Unterscheidung zwischen der Welt des Films oder unserer Realität scheint dabei unwichtig.

Prometheus, der das Feuer den Göttern stahl, wurde von ihnen bestraft. Das Wirken Oppenheimers und seiner Kollegen und Kolleginnen läutete das Atomzeitalter ein. Im Film ist Oppenheimer der Leidtragende, derjenige, der mit Blut an den Händen öffentlich geächtet wird, auch für seine linkspolitische Ausrichtung. Die geopferten Hunderttausend in Hiroshima verschwinden im Hintergrund, ein einzelner Mann mit einem schlechten Gewissen ist der Märtyrer des Fortschritts.