Hans Himmelheber und die Kunstgeschichte Afrikas

Hans Himmelheber mit seinen Porträtmasken. Eberhard Fischer, Heidelberg, 1971, Farbfotografie, Fotoarchiv Museum Rietberg © Museum Rietberg, Zürich.

«Look Closer. Kunst Afrikas im Archiv Himmelheber» im Museum Rietberg lädt zur Auseinandersetzung mit dem Archiv des innovativen Kunstethnologen, Händlers und Sammlers Hans Himmelheber ein. Der Ausstellung gelingt der Spagat zwischen der Würdigung eines aussergewöhnlichen Forschers und der kritischen Einordnung seines Werks.

«Vielleicht handelt es sich um eine grundsätzlich andere Auffassung von dem, was das Abbild eines Menschen ist», wird Hans Himmelheber (1908–2003) im Saaltext von «Look closer» zitiert. Himmelheber notierte den Satz 1972, nachdem er für ein Experiment vier Künstler aus verschiedenen Regionen der Côte d’Ivoire gebeten hatte, sein Abbild zu schnitzen. Die daraus entstandenen Masken unterscheiden sich beträchtlich und sind für das ungeübte Auge teilweise kaum als Portrait von Himmelheber erkennbar. Diese Versuchsreihe ist typisch für den Karlsruher Forscher, der damit beweisen wollte, dass Portraits – anders als die gängigen Vorurteile im Westen besagten – sehr wohl zum Repertoire afrikanischer Künstler gehörten.

Der Blick von Himmelhebers westlichen Zeitgenoss:innen auf afrikanische Kunst war geprägt von kolonialrassistischen Vorurteilen: Sie gingen davon aus, dass Afrikaner:innen keine wirklichen Künstler:innen sein konnten, sondern anonym blieben und bloss regionale Stile reproduzierten. Himmelheber hingegen interessierte sich als einer der Wenigen jener Zeit für die Künstlerpersönlichkeiten hinter den Werken. Er führte ausgedehnte Gespräche mit den Künstlern (es waren in erster Linie Männer) über ihr Schaffen, ihre gesellschaftliche Rolle und die Bedeutung ihrer Werke. Dabei dokumentierte Himmelheber den künstlerischen Arbeitsprozess minutiös – er filmte, fotografierte und protokollierte stundenlang.

Das grosse Verdienst des Kunstethnologen war seine Erkenntnis, dass afrikanische Künstler sehr wohl individuelle Stile pflegten, sich dabei auf das aktuelle Zeitgeschehen bezogen, innovative Techniken ausprobierten und mit neuen Materialien experimentierten. Damit bewirkte Himmelheber ein Umdenken in der Kunstgeschichte Afrikas. So veröffentlichte er etwa die erste Monographie über einen Bildhauer aus Afrika: Boti. Ein Maskenschnitzer der Guro, Elfenbeinküste (1993).

Hans Himmelheber filmt den Schnitzer Banga Sjui bei der Arbeit. Unbekannte Fotograf:in, Côte D’Ivoire, Bété-Region, Biegjue, 26. Januar 1965, SW-Negativ, Fotoarchiv Museum Rietberg, Inv.-Nr. FHH 330-17 © Museum Rietberg, Zürich.

Vom Händler zum Forscher

Zur Forschung gelangte Himmelheber durch seine Tätigkeit als Kunsthändler in Paris Ende der 1920er Jahre. Dabei kam er mit afrikanischen Artefakten in Kontakt und begann, sich vermehrt für afrikanische Kunst zu interessieren. Seine Doktorarbeit führte ihn 1933 auf seine erste von insgesamt dreizehn Reisen nach Zentral- und Westafrika. Besonders wichtig für Himmelhebers Forschung wurde später die Dan-Region der Côte d’Ivoire und Liberia, die er zwischen 1949 und 1976 insgesamt neun Mal bereiste. Dieses Leben als freier Wissenschaftler finanzierte sich Himmelheber, indem er weiterhin afrikanische Kunstobjekte an westliche Museen und Sammler:innen verkaufte.

Die noch bis September im Museum Rietberg laufende Ausstellung «Look closer» ist dem Archiv von Himmelhebers Forscherleben gewidmet und präsentiert die Resultate eines mehrjährigen Forschungsprojekts des Museums Rietberg und der Universität Zürich zu diesem Archiv. Sechs Historikerinnen und Ethnologinnen haben sich dabei mit der Wissensproduktion über die Kunst Afrikas auseinandergesetzt und gemeinsam die Ausstellung gestaltet. Nach «Fiktion Kongo» im Jahr 2020 bildet das Archiv von Himmelheber zum zweiten Mal den Ausgangspunkt für eine Ausstellung im Museum Rietberg.

Grob lässt sich «Look closer» in drei Abschnitte aufteilen: Nach dem Einstieg mit den Portraitmasken Himmelhebers führt die Ausstellung anhand des umfangreichen Archivmaterials durch sein Leben als Händler, Forscher und Hochschullehrer. Der zweite Teil folgt den Künstler:innen, denen Himmelheber sich widmete, und stellt die Personen und deren Werke vor. Geschlossen wird die Ausstellung durch einen dritten Teil, der sich um die wissenschaftliche und künstlerische Forschung zum Archiv Himmelheber dreht: Die Kuratorinnen präsentieren einige Feldstudien aus dem Forschungsprojekt und zeigen eigens für die Ausstellung angefertigte Kunstwerke zeitgenössischer Künstler:innen aus der Côte d’Ivoire, der demokratischen Republik Kongo und der Diaspora.

Alte und neuen Sehgewohnheiten zur Kunst Afrikas

Im Abschnitt zu den von Himmelheber beschriebenen Künstler:innen wird deutlich, was Himmelheber unter einer «wahren» Künstlerpersönlichkeit verstand: Er zeigte grosse Bewunderung für den liberianischen Künstler Sra (ca. 1885–1955), den er 1952 getroffen hatte und den «grössten Künstler des Landes» nannte. Sra, dessen imposante Masken im Museum Rietberg ausgestellt sind, nutzte wirkmächtige Formen für seine Masken und zeichnete sich laut Himmelheber durch sein grosses Talent und einen inneren Drang zur künstlerischen Tätigkeit aus. In der Bevölkerung genoss Sra hohes Ansehen, finanziell abhängig von Aufträgen war er nicht.

Grosse Maske mit Stirnnarbe. Sra (ca. 1885–1955), Liberia, Dan-Region, Belewale, um 1930, Holz, 31 x 21 x 15,5 cm Museum Rietberg, Inv.-Nr. 2013.245, um 1950 erworben von Hans Himmelheber, Ankauf mit Mitteln des Rietberg-Kreises © Museum Rietberg, Zürich.

Mit dieser Bewunderung für afrikanische Künstler und ihre Kunst stellte Himmelheber zwar die seinerzeit verbreiteten Sehgewohnheiten und Deutungsmuster in Frage. Verhaftet blieb er ihnen dennoch: Die künstlerische Arbeit von Frauen interessierte ihn kaum, nur wenige würdigte er als Künstlerinnen. In seinem Nachlass tauchen sie nur vereinzelt namentlich auf.

Die Ausstellung nimmt hier eine Gegenperspektive zu Himmelheber ein: Sie folgt den Spuren, die Frauen in Himmelhebers Archiv hinterliessen, und präsentiert von Frauen geschaffene Flechtarbeiten und Töpfereien. So wird die Kunst von Frauen in Himmelhebers Archiv sichtbar, obwohl dieser selbst sie grösstenteils als blosses «Handwerk» abtat – von Ausnahmen, wie der von ihm als Künstlerin anerkannten Töpfermeisterin Tape Gozi, mal abgesehen. Diese Spurensuche macht deutlich, wie das Archiv als Ausgangspunkt dienen kann, um Himmelhebers Sichtweise zu überwinden.

Zwischen Paternalismus und Anerkennung

Dass «Look closer» nicht nur eine Reminiszenz an Himmelheber sein soll, wird aber bereits vorher deutlich. Immerhin enthält schon der Ausstellungstitel die Aufforderung zum überprüfenden, kritischen Blick – ein Anspruch, dessen Umsetzung gelingt. Die Spannungen und Widersprüche, die sich durch die Biographie und das Werk Himmelhebers ziehen, werden durchgehend thematisiert, ohne dass versucht wird, diese krampfhaft aufzulösen.

Die Kuratorinnen zeigen, wie Himmelheber als Händler von den kolonialen Strukturen, in denen er sich bewegte, sowie vom damit einhergehenden Machtgefälle profitierte. Zudem heben sie hervor, dass er sich immer wieder einer paternalistisch-rassistischen Sprache bediente. Beides steht in deutlichem Gegensatz zur Anerkennung, die er afrikanischen Künstlern und ihren Werken entgegenbrachte. Dieser widersprüchliche Blick Himmelhebers wird in der Ausstellung mit afrikanischen Perspektiven konfrontiert; Perspektiven, die wiederum sichtbar werden, indem sich die Kuratorinnen an Himmelhebers Archiv, statt an seiner Person orientieren.

Emblematisch dafür steht der Film (Ein) Ort Macht Wissenschaft. Darin werden Fotographien, Filmaufnahmen und Tagebucheinträge von Himmelhebers Forschung in Nyor Diaple in Liberia neu zusammengefügt. So enthüllt der Film, dass Aufnahmen von Maskentänzen und ähnlichen Ritualen, die oft geplant für Besucher:innen aufgeführt wurden, intensive Verhandlungen vorausgingen. Die von Himmelheber gefilmten und interviewten Personen werden durch den Film als Akteur:innen lesbar, die als Wissensproduzent:innen wesentlich an seiner Forschung beteiligt waren. Zudem war Himmelheber für solche Verhandlungen stark auf seinen lokalen Mitarbeiter und Übersetzer, den Liberianer George Tahmen (1931-2003), angewiesen. Wissen, das macht der Film damit deutlich, wird immer kollektiv produziert.

Hans Himmelheber und George Tahmen. Unbekannte Fotograf*in, Liberia, Nyor Diaple, 28. Februar 1978, SW-Negativ, Fotoarchiv Museum Rietberg, Inv.-Nr. FHH 437-33 © Museum Rietberg, Zürich

Gegenwärtige Perspektiven auf das Archiv Hans Himmelheber

Der in «Look closer» angestrebte Perspektivenwechsel geht aber über die Präsenz afrikanischer Akteur:innen in Himmelhebers Archiv hinaus: Ihre Geschichten werden bis in die Gegenwart weiterverfolgt und mit Neu-Interpretationen des Archivs durch Künstler:innen aus der Côte d’Ivoire, der demokratischen Republik Kongo und der Diaspora erweitert. Durch dieses Wechselspiel wissenschaftlicher und künstlerischer Forschung werden in «Look closer» verschiedene, an der Gegenwart afrikanischer Gesellschaften orientierte Deutungen des Archivs mit Himmelhebers eigenen Forschungsmethoden und Erkenntnissen verknüpft.

So diente das Archiv als Ausgangspunkt für die künstlerische Arbeit des in Lubumbashi lebenden Künstlers David Shongo (*1994). Shongo bereiste die Route von Himmelhebers Kongoreise von 1938/39 und bringt in seinen multimedialen Kunstwerken die eigene Familiengeschichte mit Himmelhebers Archiv, der politischen Gegenwart der Region und den langanhaltenden Folgen der Kolonialherrschaft in Verbindung. Dabei reflektiert er Möglichkeiten und Grenzen von Restitution als Form der Wiedergutmachung.

Den – zumindest physischen – Schlusspunkt der Ausstellung bildet das «Africa Art Archive», der digital zugänglich gemachte Bestand des Archivs von Himmelheber. Viele Archivbestände zur afrikanischen Geschichte liegen in Europa und sind für Forscher:innen und Interessierte aus Afrika aufgrund von strikten Einreisebestimmungen und hohen Kosten weiterhin kaum zugänglich. Das «Africa Art Archive» wirkt dem entgegen und bildet so vielleicht den Auftakt zu einer weiteren, multiperspektivischen Auseinandersetzung mit dem Archiv Himmelheber.