Emanzipation im «Modeheftli»?

Der Minirock – emanzipatorisch oder unterdrückend? Aus der Ausstellung«Peter Knapp – Mon temps» (Foto: Privat)

Minirock und Bikini: Die Elle der 1960er setzte sich für die Selbstbestimmtheit der Frauen ein – auch in der Mode. Nach einem Besuch im Fotomuseum Winterthur gehe ich den Fragen nach, welche Rolle die Mode in der feministischen Bewegung dieser Zeit spielte und ob sich Emanzipation und Mode überhaupt vereinbaren lassen.

Der erste Schritt durch die grosse Glastür fühlte sich an wie ein Sprung in eine andere Zeit. Beim Betreten der Ausstellung blickte mir direkt ein rundes Augenpaar entgegen, geschminkt mit dem schwungvollen Lidstrich der 1960er-Jahre. Ein grosses schwarz-weiss Portrait eines Models mit modischem Hut hing vor mir an der kahlen Museumwand.  Vor ein paar Wochen besuchte ich die Ausstellung «Peter Knapp – Mon temps» im Fotomuseum Winterthur. Die Ausstellung zeigte Fotografien von Peter Knapp, welcher in den 1960ern und 70ern als Modefotograf für das Magazin Elle arbeitete. Die Emanzipation der Frauen während der 60-Jahre und die damit einhergehende Liberalisierung der Mode wurden in der Ausstellung besonders betont, und die Elle als «Leitmedium der Emanzipation» und «Vermittlerin eines neuen Körper-und Lebensgefühls» beschrieben. Heutzutage werden «Modeheftli» wie die Elle gerne belächelt und für das darin präsentierte Frauenbild kritisiert. Solche Gegenstimmen gab es auch bereits von feministischen Aktivist*innen in den 60ern. Dies warf in mir die Frage auf, welche Rolle die Mode in der feministischen Bewegung dieser Zeit spielte – oder vielleicht heute noch spielt.

Die Ausstellung zeigt Peter Knapps Fotografien wie sie abgedruckt in der Elle erschienen. (Foto: Privat)

Was heute alltäglich wirkt, war damals revolutionär: In einer Elle-Ausgabe von 1971 räkeln sich Models in pinken Zweiteilern im türkisblauen Wasser oder rennen in kurzen Jeanshorts lachend dem Meeresufer entlang. Zwischen 1940 und 1970 hatte sich das Frauenbild in der westlich-europäischen Nachkriegswelt deutlich verändert. Ein Exemplar der Elle von 1946 zeigt die Frauen noch in langen, dunklen Röcken mit taillierten Hüften. Die früheren Ausgaben wurden mit Zeichnungen illustriert, ab den 50er-Jahren übernahm die Fotografie als neues Kunstmedium.

Selbstbewusst posieren die Models hier in freizügiger Bademode. (Foto: Privat)

Was machte die Elle der 1960ern zu einem «Leitmedium der Emanzipation»? In ihrem Magazin wollte die Gründerin Hélène Lazareff ein neues Frauenbild propagieren. Die kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs gegründete Zeitschrift setzte sich bereits in den 60ern für die soziale, politische und körperliche Selbstbestimmung der Frau ein. Das Magazin widmete sich neben den neusten Modetrends ebenfalls gesellschaftspolitischen Themen. Es setzte sich unter anderem für das Recht auf Abtreibung ein und zeigte sich solidarisch mit den Anliegen der französischen Frauenbewegung um 1968. Die Elle-Leserin sollte eine selbstbewusste, modische Frau sein, welche sich zusammen mit Männern gleichberechtigt am öffentlichen Leben beteiligte – und dies verkörpert auch die Mode im Heft.

Die Elle-Ausgaben der 40er wurden noch mit Zeichnungen illustriert, ab den 50er-Jahren übernahm die Fotografie als neues Kunstmedium. (Foto: Privat)

Der Minijupe – Aneignung oder Einengung?

Knie zeigen war ein Weg der Befreiung und Loslösung von veralteten Kleidernormen. Der 60er-Modetrend kann symbolisch für das in der Elle vermittelte Frauenbild stehen. Erstmals zu sehen war der Minijupe 1962 auf dem Cover der Vogue. Der kurze, provokante Rock liess mehr Bewegungsfreiheit zu. Er sei ein Zeichen für eine «dynamische, sportliche, aktive und selbstbewusste Frau» und Symbol sexueller Selbstermächtigung gewesen, hiess es in der Ausstellung.

Der neue Trend eroberte die Modewelt. In den USA wurde er gleichzeitig zum symbolischen Drehpunkt feministischer Debatten, schreibt die englische Historikerin Betty Luther Hillman in ihrem Essay «’The Clothes I Wear Help Me to Know My Own Power.’ The Politics of Gender Presentation in the Era of Women’s Liberation». Feminist*innen des amerikanischen «women’s liberation movement» waren Gegner*innen des kurzen Rocks. Mit Kleidung wie dem Minirock würden Frauen ihre Rolle als sexualisiertes Objekt gerade bekräftigen. In solchen Schönheitsidealen sahen die Aktivist*innen ein patriarchal geprägtes Bild davon, wie eine Frau auszusehen hat. Sie versuchten bereits damals, Geschlechterstereotypen durch ihre Kleidung, Haarschnitt und anderen Formen der Selbstrepräsentation gegen aussen aufzulösen und negierten jegliche traditionellen Auffassungen «weiblicher Schönheit».

Die Elle-Ausgabe von 1971: Strand, Meer, kruze Shorts, Emanzipation? (Foto: Privat)

Was für einige befreiend sein konnte, war für andere eine Verwerfung ihrer eigenen Auffassung vom «Frausein». Einige Feminist*innen sahen die Möglichkeit der Unabhängigkeit auch ohne den «Verlust» ihrer Weiblichkeit. So kam es zu grundlegenden Debatten über die feministische «gender presentation» und der Bedeutung vom «Frausein». Wird durch ein androgynes Erscheinungsbild die weibliche Identität der Frau negiert? Oder fördern Bilderideale, wie das einer modisch gekleideten Feministin, geschlechterstereotypische Vorurteile? Auch die Elle als Zeitschrift bewegte sich inmitten der Diskussion um die Frage: «What it meant to be a woman in an era of women’s liberation.», wie Hillmann in ihrem Essay schreibt.

Der knappe Rock hatte noch eine weitere Konsequenz: Je mehr Körper gezeigt wurde, desto makelloser musste er sein. Beworben wurde der Minirock vor allem mit damaligen Modelikonen wie Twiggy. Sie war das idealisierte Körperbild ohne Kurven, mit langen Beinen und flachem Oberkörper. «Geschichten der Mode sind ein Spiegel von Schönheitsidealen.» hiess es in der Ausstellung. «So finden sich in Elle (…) neben Styling-Guides, Make-up-Anleitungen und den allgegenwärtigen Abnehmtipps auch Ratschläge zur Haarentfernung und Kniepflege.» War der Mini-Rock nun befreiend oder reduzierte er den weiblichen Körper auf ein makelloses Lustobjekt? Die Ausstellung liess diese Frage offen. Wie sich die Elle und ihre Gründerin Lazareff dazu positionieren würden: Mode ist befreiend; Frauen sollen und können ihre Selbstbestimmtheit durch die eigenständige Wahl ihrer Kleidung beeinflussen. Der Minirock gibt Beinfreiheit, knallige Farben markieren Präsenz und Selbstbewusstsein.

Frauen erobern die Welt. (Foto: Privat)

Mode soll eine Wahl sein

Lässt sich also Mode und Emanzipation vereinen? Ja, denn wenn Kleidung als repressives Mittel verwendet werden kann, so kann sie genauso eine Befreiung aus vorgegebenen Strukturen symbolisieren. Mode widerspiegelt immer auch Idealbilder und Normvorstellungen einer Zeit. Sie kann Körperbilder und Geschlechterrollen verfestigen aber auch gleichermassen herausfordern und auflösen. In der Elle der 1960er und den Modefotografien Peter Knapps lassen sich neue Frauenbilder erkennen. In seinen Portraits sind die Frauen selbstbewusst in den Strassen unterwegs und wirken losgelöst von den Erwartungen einer geordneten Mutter und Hausfrau. Gleichzeitig schaffen Werbefotografien in Modemagazinen auch immer neue Schönheitsideale. Mehr Freiheit in der Mode bedeutet somit nicht direkt eine Liberalisierung des (weiblichen) Körpers von gesellschaftlichen Normen. Trotzdem kann die Elle als Vorreiterin gelten, indem sie die soziale und politische Selbstbestimmtheit der Frauen in den 60er unterstützte. Sie machte Frauen Mut, sich ihrer Stimme zu bedienen und sich somit auch in der Mode bunt und selbstbestimmt auszuleben. Ob ein Minirock Selbstbewusstsein fördert oder Frauen zum Lustobjekt macht, ist auch durch die Haltung der Gegenseite bedingt. Die Wahl der eigenen Kleidung bietet Menschen die Möglichkeit, selbstbestimmt zu handeln, sowie die eigene Identität und Selbstvertrauen auszudrücken. Auch Hillmann schreibt: «It was the choice itself that allowed women to be liberated.»