Damit die Mörder gut speisen

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Seit Anfang Oktober läuft das historische Drama «Persischstunden» in den Deutschschweizer Kinos. Es erzählt die Geschichte von Gilles: Einem belgischen Juden, der seiner Erschiessung entkommt, indem er vorgibt, Perser zu sein. Lohnt es sich, den Streifen anzusehen, oder verliert er sich wie so viele Zweitweltkriegsfilme in Stereotypen?

Der ukrainische Regisseur Vladim Perelman habe zum 70. Geburtstag der Berlinale «keinen Film über den Holocaust, sondern über menschliche Kommunikation» machen wollen. Das Resultat dieses Vorsatzes bietet sich den Zuschauer*innen in Form von «Persischstunden». Doch einfach hat es der Film nicht, hat er doch als Vorläufer Klassiker wie «Schindler’s List» oder «La vita è bella».

Phantastisches Persisch

Der Plot soll nach Angaben des Regisseurs auf «wahren Begebenheiten» basieren (der Begriff ist in der Filmindustrie aber bekanntlich dehnbar): der jüdische Belgier Gilles gibt kurz vor seiner Erschiessung durch die SS vor, Perser zu sein. Zuvor hatte er ein Stück Brot für ein auf Farsi geschriebenes Buch getauscht. Die Soldaten bringen ihn zum Hauptsturmführer Klaus Koch, dem Küchenchef in einem namenlosen KZ, das als Zwischenstation für die Deportation in den Osten dient. Koch möchte nämlich Persisch lernen, da er plant, nach dem Krieg ein Restaurant in Teheran zu eröffnen. Schnell entsteht eine Vereinbarung: Gilles soll Koch Farsi beibringen, im Gegenzug sichert dieser das Leben Gilles’.

Der Haken an dieser Vereinbarung: Gilles spricht kein Wort Persisch. Aus diesem Grund ist er gezwungen eine Phantasiesprache zu erfinden; ein gefährliches Unterfangen, könnte doch jeder Fehler sein letzter sein.

Radz und tsvajn

Tatsächlich war mein Eindruck beim Verlassen des Kinosaales, dass Regisseur Perelmans Vorhaben geglückt ist: Der Film dreht sich um die menschliche Kommunikation. Sie ist allgegenwärtig, sei es der alltägliche Klatsch unter den Offizieren, die Gefangenenregister im Verwaltungsapparat der Nazimaschinerie, oder eben Gilles erfundene Sprache.

Gefesselt sieht das Publikum ihm dabei zu, wie er anfangs noch unsystematisch Wörter aus dem Ärmel schüttelt. Radz für Brot, gunk für Fleisch oder tsvajn für Schwein. Als ihm dies jedoch über den Kopf wächst, geht Gilles dazu hinüber, Wörter aus den Namen seiner Mitinsassen zu bilden. Dadurch lässt er all die für Koch Namenlosen weiterleben, zwingt sie diesem ohne dessen Wissen auf und rettet zumindest ihre Erinnerung vor der Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten.

Bösewicht mit Tiefe

Eine weitere Stärke des Filmes sind die vielschichtigen Charaktere: Gilles schliesst man sofort ins Herz. Sein Handeln wirkt nie irrational, seine Motivationen nie gesucht.

Gilles. ©Frenetic

Noch mehr als der Protagonist überzeugt jedoch der Antagonist. Klaus Koch ist kein diabolischer Bösewicht, wie uns Hollywood den Nazi-Offizier gerne präsentiert. Seine Figur wirkt menschlich und trotz der SS-Uniform nicht wie ein Abbild des Leibhaftigen. Vielmehr haben wir es mit einem Mann zu tun, der sehr früh in die NSDAP «reingerutscht» ist und nun still (so still, dass nicht mal er selbst es zu bemerken scheint) Zweifel an der blinden Gefolgschaft entwickelt. Dafür spricht auch der Wunsch, zu seinem Bruder nach Teheran zu ziehen.

Verletzlichkeit folgt Schachpartie

Ob die Darstellung Kochs als «bloss» fehlerhafter Mensch historisch akkurat ist – immerhin hat man es bei Klaus Koch mit einem Mitglied der Totenkopf-Staffel zu tun – sei dahingestellt.  Man kann hier dem Film durchaus verharmlosende Züge vorwerfen. Der Dramaturgie tut dieser Kniff hingegen gut: Durch das beinahe sympathische Bild Kochs entwickelt sich eine unvorhersehbare Dynamik in der Handlung. Ein tiefgründiger Gegenspieler lässt weitaus spannendere Unterhaltungen mit dem Protagonisten zu.

So reiht sich in «Persischstunden» ein Dialog, der sich wie eine metaphorische Schachpartie zwischen Gilles und Koch anfühlt, an Momente, in denen Koch eine unerwartet nahbare und verletzliche Seite offenbart. Man schwankt von einer angsterfüllenden Kälte, in der Gilles um seine Tarnung und sein Leben fürchten muss, hin zu Augenblicken, in denen er zutiefst persönliche Dinge über Koch erfährt. Immer wieder tritt das Motiv der Kommunikation zutage.

Ränkespiele und flache Nebenfiguren

Jene Vielschichtigkeit der Hauptcharaktere vermisst man jedoch bei den Nebenfiguren; hier bietet sich den Zuschauer*innen das altbekannte Sammelsurium an eindimensionalen Nazi-Stereotypen: der verbohrt ideologische Rottenführer Max Beyer oder die gewissenlose Karrieristin Elsa beispielsweise.

Doch was den Figuren an Tiefgang fehlt, kompensieren sie durch ihre Interaktion untereinander. Auf realistische Weise eröffnen sich die verschiedenen Ränkespiele innerhalb des KZ. Man erlebt die Banalität und Gleichgültigkeit, mit der ein Menschenleben behandelt, oder der Abtransport in ein Vernichtungslager durchgeführt wird.

Schurke?

Gerade die Gleichgültigkeit gegenüber dem Ungeheuerlichen ist Teil einer zentralen Frage des Films. Klaus Kochs Funktion im KZ als Küchenchef ist nämlich clever gewählt. Sie macht es möglich zu fragen: Trägt er, der dafür sorgt, dass «die Mörder gut speisen», eine Mitschuld an ihren Verbrechen? Klaus Koch ist, soweit uns der Film verrät, nichts anderes, als sein Nachname vermuten lässt: ein Koch. Er hat nie getötet, hat nie den Befehl gegeben, Insassen weiter in die Vernichtungslager zu senden. Dies haben stets Leute getan, die über oder unter ihm in der Nahrungskette standen.

Und doch möchte ihn mein Moralempfinden nicht freisprechen. Koch ist Teil der Tötungsmaschinerie des Holocausts. Er weiss, was in den Lagern weiter im Osten vor sich geht. Er behandelt die Insassen des Lagers wie Dreck und profitiert von ihrer Ausbeutung. Nichtdestotrotz bleibt am Ende für mich die Frage: Ist er trotzdem gleich schlimm wie die anderen?

Das Urteil

«Persischstunden» hat also durchaus Schwächen, gerade die Darstellung Kochs halte ich für zuweilen problematisch verharmlosend. Trotzdem handelt es sich bei Koch um eine vielschichtige Figur, die ich auch als eine Stärke des Filmes wahrnehme: Er zeigt, dass Nazis, ja selbst SS-Offiziere letztlich Menschen waren, und erinnert daran, dass wir sie nicht einfach wie Monster in die Dunkelheit der Vergangenheit verdrängen können.

Und nicht nur dank dieser moralischen Aussage bleibt «Persischstunden» einer der qualitativ hochwertigsten Filme, die sich mit der Shoah beschäftigen: Die Story mit dem erfundenen Persisch ist einzigartig, und den Spagat zwischen teilweise absurder Komik, ohne dabei respektlos gegenüber den Opfern der Shoah zu werden, meistert er tadellos.

Deshalb fällt mir das Urteil für «Persischstunden» schliesslich nicht schwer: Der Film ist ein absolutes Muss.