Stift statt Sturmgewehr

Mit dem Scannen von Aktenbergen dem Vaterland dienen: Als Zivi bei der Forschungsstelle der Diplomatischen Dokumente Schweiz in Bern ist das möglich – auch wenn man dem Militärischen doch nicht ganz entfliehen kann.

Vor ungefähr einem Jahr fasste ich den Entschluss, nach meinem Bachelorabschluss eine halbjährige Pause vom Studieren einzulegen. Was im ersten Moment nach einer Auszeit mit Genuss, Reisen und sonstigen tollen Sachen anhört, hat andere Hintergründe. Seit Beginn meines Studiums habe ich nämlich meinen Dienst am Vaterland sträflich vernachlässigt. Den Altlasten sollte also ein für allemal ein Ende bereitet werden. Zumal ich mir sagte, dass mir eine kleine Abwechslung vielleicht sogar guttun würde. Ausserdem kann – wenn man sich genug um seinen Einsatz kümmert –der Zivildienst zu einer sehr spannenden, abwechslungs- und lehrreichen Zeit werden.

Der Feind: Aktenberge

Meine übrigbleibenden Diensttage wollte ich nun aber gezielt so einsetzen, dass ich auch einen Nutzen für mein Studium daraus ziehen kann. Deshalb habe ich vor allem nach Einsätzen gesucht, die etwas mit Geschichte zu tun haben. Bei der Forschungsstelle «Diplomatische Dokumente der Schweiz» in Bern wurde ich schliesslich fündig. So kam es, dass ich nun mein Zwischensemester nicht für eine komplett neue Erfahrung nutze, sondern noch tiefer in die Materie meines Studiums eintauche.

Meine Hauptarbeit ist die Integration, die Indexierung und das Scannen von vorselektionierten Quellen aus dem Bundesarchiv. Die digitale Datenbank – kurz «Dodis» – soll so fortlaufend erweitert werden. Somit leiste ich mit den Hiwis und einem anderen Zivi meinen Beitrag zur Grundlagenforschung. Oder mit anderen Worten: Mein Feinde sind nicht wie im Militär potentielle Aggressoren, sondern Aktenberge, die es zu durchstöbern gilt. Meine Waffen nicht Sturmgewehr und Handgranate, sondern Stift und Marker, mit welchen jedes relevante Detail erfasst und in die Datenbank eingetragen werden muss.

Das Schlachtfeld: Ein Schreibtisch

Wer jetzt denkt, dass dieses Erfassen der Daten eine langweilige Arbeit ist, irrt sich gewaltig. Zwar ist dieser letzte Schritt der Grundlagenforschung an sich nicht der Spannendste. Um ihn auszuführen, müssen die Dokumente aber gezwungenermassen durchgelesen werden. Genau darin steckt für mich als Historiker der Reiz dieser Arbeit. Ich verbringe Stunden meines Zivi-Einsatzes mit der Lektüre erstklassiger Quellen. Natürlich habe ich pro Dokument nicht unendlich Zeit, um eigene Forschungen zu machen. Aber das ist ja auch nicht das Ziel meines Einsatzes. Man erhält man durch die Quellenlektüre nämlich eine gute Portion Inspiration für allfällige künftige Forschung. Ausserdem muss ich auch selber recherchieren: nach allem, was noch nicht in der Datenbank ist, das aber würdig wäre, dort aufgenommen zu werden. Gerade bei der Länderforschung ist dies sehr interessant – speziell, wenn man ein eher exotisches Landesdossier erwischt, da es dort noch viel zu entdecken gibt.

Um ein bisschen Militär kommt man bei der Forschungsstelle auch als Zivi nicht herum. Vom Direktor, der seinerzeit als Hauptmann gedient hat, kriegt man immer mal wieder eine schöne Geschichte aus der Armee erzählt, mit dem ironischen Zusatz: «Siehst du, all das verpasst du!» Ausserdem stolpert man bei seinem kleinen Streifzug durch die Schweizer Diplomatiegeschichte über den einen oder anderen militärischen Konflikt, der sich im Zuge des Kalten Krieges und der Entkolonialisierung zugetragen hatte. Doch Gott sei Dank besteht auch die Geschichte der Diplomatie nicht nur aus Krieg. Ich lerne bei der Arbeit die Organisation von diversen Regierungen, aber auch das schweizerische System viel besser kennen. Dazu erhält man auch einen guten Einblick in die Gepflogenheiten der Diplomatie. Dabei sind gewisse eigenartige Muster und Regeln auf kommunikativer Ebene erkennbar. Besonders interessant sind zudem die Abschlussberichte der Botschafter, da sie oft auch mit der persönlichen Note des Verfassers versehen werden.

Der Sieg: über zwei Fliegen, mit einem Streich

Auf arbeitstechnischer Basis erhält man einen grossartigen Überblick über diverse Nachschlagewerke und Findmittel im Bereich der Zeitgeschichte. Skills und Denkanstösse für eine eventuelle Seminararbeit gibt es auch zur Genüge – zumal ich nun eine tolle Datenbank mehr kenne und nach dem Einsatz genau weiss, wie diese funktioniert. Da das Projekt sehr eng mit dem Bundesarchiv zusammenarbeitet, kann man sich mit einem weiteren Archiv vertraut machen. Doch auch ohne Gedanken an einen direkten Nutzen könnte ich allen Zivis, die an Zeitgeschichte interessiert sind, einen Einsatz bei Dodis nur empfehlen.

Obwohl ich mein Zwischensemester vermeintlich nicht mit dem Sammeln von neuen Erfahrungen fülle, bin ich momentan durchaus zufrieden mit dem Weg, den ich eingeschlagen habe. Und der Punkt mit dem Sammeln von neuen Erfahrungen ist auch nicht ganz korrekt. Auch wenn ich eigentlich beim Metier des Historikers geblieben bin, konnte ich bisher einiges dazulernen, einen Einblick in ein tolles Forschungsprojekt erhalten und dabei noch meine restlichen Diensttage abarbeiten. Zwei Fliegen mit einem Streich sozusagen.

Bild: Dokumente wie dieses über das geheime Hotz-Linder-Agreement zwischen der Schweiz und den USA von 1951 digitalisiert unser Autor täglich. (Quelle: dodis.ch/8820)