Südafrika – Gesichter eines Landes

1994 erlebte Südafrika die ersten freien Wahlen in der Geschichte der Republik. Euphorisch war die Stimmung damals, sowohl im In- wie auch im Ausland wurde das Ende der Apartheid gefeiert. Und Nelson Mandela gelang das Unvorstellbare: Er verhinderte den drohenden Bürgerkrieg, plädierte für Versöhnung statt Rache. Nur gut zwanzig Jahre später steckt die junge Demokratie in der Krise. Sieben Einblicke in die Widersprüchlichkeit der Rainbow-Nation.

 

Protea

Die lateinische Herkunft des Wortes ist unschwer erkennbar. Es bezeichnet die südafrikanische Nationalblume, die in allen Farben und Formen im ganzen Land zu finden ist und an eine leuchtende Artischocke erinnert. Wer die Hügel an den Ausläufern Kapstadts erkundet, muss sie nicht lange suchen. Weit scheint die Welt hier. Weltoffen, tolerant und bunt. Das Kap der guten Hoffnung ist nicht weit entfernt. Und mit ihm die Winde, die vom Schicksal der Seefahrer erzählen, die Pinguine und Haie.

Schwarz, weiss, indisch oder malayisch – die Gruppen in den bisweilen extravaganten Cafés an der Long Street kümmern sich nicht um vergangene Bezeichnungen. Man isst hier ägyptisch, äthiopisch, thailändisch oder italienisch. Tanzt zu Musik aus Amerika, betet in der Moschee im Quartier, trinkt in deutschen Biergärten und ist stolz auf seine afrikanischen Wurzeln. Und über der einmaligen Stadt wacht der Tafelberg wie ein wohlwollender alter Bekannter.

Nkandla

Klingt nach Afrika, vielleicht Zulu, vielleicht Xhosa. Aber auf jeden Fall exotisch, fremd. Was sich hinter dem Begriff versteckt, ist leider nur allzu bekannt. Nkandla Gate – das ist ein Stichwort für Korruption der Extraklasse. Korruption des südafrikanischen Staates, der Regierung, des Präsidenten. Jacob Zuma, auch bekannt als Mann vieler Frauen oder als Verleugner von Aids, lässt es sich gut gehen. Zwanzig Millionen an Steuergeldern flossen in seine Privatresidenz Nkandla Gate. Das Anwesen befindet sich in der Provinz KwaZulu-Natal. Dort lebt Zumas vielköpfige Familie. Sie ist reich geworden seit dem Amtsantritt ihres Oberhaupts.

Als die Opposition im letzten März die Rückzahlung der Steuergelder fordert, eskaliert die Situation – just während Zumas Rede zur Lage der Nation. Der Präsident verweigert jede Stellungnahme, Sicherheitskräfte zerren die unliebsamen Fragesteller aus dem Saal. Überraschend ist dieses Verhalten nicht. Jacob Zuma war bereits vor seiner Zeit als Präsident in eine Reihe von Korruptionsverfahren verstrickt. Sie alle wurden unter unklaren Umständen eingestellt. Nach seiner Amtszeit drohen ihm die Fänge der Justiz einmal mehr.

Es ist primär die Angst vor diesen Verfahren, die Zumas gegenwärtige Politik prägt. Die Probleme des Landes bleiben dabei auf der Strecke. Dabei gäbe es mehr als genug davon. Extreme Armut, eine krankende Wirtschaft, gewaltige soziale Ungleichheit, mangelhafte staatliche Versorgung mit Strom und Wasser. Und vor allem anderen prägt eine Mutlosigkeit das Land, die an Zynismus grenzt. Die Bevölkerung ist unzufrieden, doch die Stimmbeteiligung sinkt immer weiter.

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Bunny Chow

Heiss ist sie, praktisch und bisweilen scharf. Die Spezialität von Durban, Südafrikas indisch geprägter Stadt. An allerlei Strassenständen und Märkten höhlen selbsternannte Köche einen gewaltigen Würfel aus weissem Toastbrot aus. Was in den Ohren europäischer Gourmets nach einer Zumutung klingt, entpuppt sich als Delikatesse: Ins Innere des Würfels wird ein hausgemachter Curryeintopf gegossen, eine Sauce aus Fleisch, Gemüse und allerlei Gewürzen. Das ganze wird to go gegessen, Toastbrotstreifen dienen als Löffel.

Durban ist eine Welt für sich. Bunt, laut und voller Gerüche. An den palmengesäumten Stränden tummeln sich Surfer und Jogger. Die Menschen sehen indisch aus hier, viele haben Vorfahren vom Subkontinent. Ursprünglich als Bauarbeiter eingewandert, sind inzwischen viele Unternehmer und Businessleute. Auch Mahatma Gandhi war einst hier und formte seine Thesen des gewaltlosen Widerstands. Noch heute trifft man ihn in der Stadt an – als Namensgeber von Strassen.

Marikana

Eine Ortschaft im Nordosten Südafrikas. Mehr als 25‘000 Bergleute arbeiten im lokalen Bergwerk, es gehört der britischen Firma Lonmin. Im August 2012 eskaliert hier ein Arbeiterkonflikt. Der Streik der Bergarbeiter für mehr Lohn scheint erst harmlos, findet aber kein Ende. Wochenlang breitet er sich aus. Wochen, in denen die Regierung zusieht und mit ihr eine zunehmend besorgte Weltöffentlichkeit. Es kommt zu Gewalt auf beiden Seiten. Erste Bergleute und Sicherheitskräfte werden umgebracht. Dann folgt der Eklat: Am 16. August schiessen Polizisten mit scharfer Munition in die panische Protestbewegung.

Im sogenannten «Massaker von Marikana» sterben etwa 40 Menschen. Die genaue Zahl variiert je nach Quelle. Die meisten Opfer sterben durch Schüsse in den Rücken. Nach Angaben der Polizei handelt es sich bei ihrem Vorgehen um Notwehr, ihnen zufolge haben die Bergarbeiter den Schusswechsel eröffnet. Die Gewerkschaften behaupten das Gegenteil. Wessen Wahrheit zutrifft, ist bis heute nicht geklärt. Doch die Polizei trägt kräftig dazu bei, ihre eigene Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Sie verfälscht das Geschehen nachträglich, indem sie zusätzliche Waffen neben die Toten legt und sie so fotografiert.

Die Überlebenden werden festgenommen und angeklagt – ein Gesetz aus Zeiten der Apartheid erlaubt es, sie für den Tod ihrer Kollegen verantwortlich zu machen. Unter dem Druck der Öffentlichkeit wird die Anklage schliesslich fallengelassen. Der Präsident Jacob Zuma überlebt den Skandal, die Arbeit in den Minen geht weiter. Doch der Vorfall hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Das Vorgehen der Polizei hat Erinnerungen an alte Zeiten geweckt.

Ponte City

Hinter dem klingenden Namen verbirgt sich ein 173 Meter hohes zylindrisches Gebäude im Herzen Hillbrows. Hillbrow, das ist ein Viertel in Johannesburg, dessen Geschichte eng mit der Entwicklung des Landes verwoben ist. Zu Zeiten der Apartheid als weisses Oberschichtenviertel konzipiert, verwahrloste Hillbrow im Laufe der 1980er- und 1990er-Jahre zunehmend, um dann von Kriminalität und Drogen heimgesucht zu werden. Eine extreme Bevölkerungsdichte zeichnet das Quartier aus, Sinnbild dafür ist Ponte City.

Das höchste Apartment-Hochhaus Afrikas fällt schon beim Anflug auf Johannesburg auf. Wer mit dem Taxi vorbeifährt, sieht kleine Fenster in der grauen Fassade. Davor hängen Tücher und Kleidungsstücke. Ponte City galt erst als Nobel-Etablissement, dann wurde es für Drogen, Mord und Vergewaltigungen bekannt. Ein grosses Bordell wurde innerhalb des Gebäudes betrieben und im Innenhof türmte sich ein Abfallberg bis zum fünften Stockwerk. Inzwischen wurde das Gebäude zurückerobert – die Wohnungen sind renoviert. Es leben nun Arbeiter, Studenten, Künstler und Immigranten in Ponte City. Der Einlass erfolgt per Fingerabdruck. Man will sich gegen die Kriminalität schützen.

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Braai

Braai, das ist eine Art südafrikanisches Barbecue. In ganz Südafrika beliebt, doch besonders unter den Afrikaans-sprechenden Südafrikanern. Eine schöne Tradition – doch gerade die ältere weisse Generation trinkt und schimpft dabei gerne über die Zustände des Landes. Der Rassismus ist dort oft immer noch spürbar. Zu Apartheid-Zeiten beanspruchte die weisse Oberschicht die Stadtzentren für sich. Schwarze wurden in die Townships, in Aussenbezirke, verbannt oder in sogenannte Homelands im Landesinnern umgesiedelt. Heute zeigt sich das Bild verändert: Die meisten weissen Südafrikaner haben die Stadtzentren verlassen und verbarrikadieren sich hinter hohen Mauern.

Geh nicht an den Hauptbahnhof. Steig nicht in die Busse der Schwarzen. Bleib in den guten Gegenden und meide die Nacht. Das sind Warnungen der älteren Generation, der sogenannten Buren-Gemeinschaft. Die Warnungen sind zum Teil rassistisch, zum Teil übertrieben, zum Teil nicht. Sogar in Kapstadt wird manchmal für ein Handy gemordet.

Born free

Noch immer herrscht die Ungleichheit: Das statistische Bundesamt des Landes verzeichnet 36 Prozent, die unter der Armutsgrenze leben. Weniger als ein Prozent davon ist weiss. Auch in der sogenannten Born-free-Generation beginnen die Unterschiede mit der Geburt. Wer in Townships oder in den ehemaligen Homelands aufwächst, hat schlechte Chancen. Er wird eine schlechte Schule besuchen, diese oft frühzeitig abbrechen, sehr früh Kinder kriegen und aller Wahrscheinlichkeit nach nie eine Universität besuchen. Absolventen privater Schulen und Unis haben gute Karten, doch sie sind nur ein Bruchteil der Bevölkerung. Die anderen 90 Prozent haben keine Chance auf dem qualifizierten Arbeitsmarkt.

Der Unmut über diese Zustände äusserte sich zuletzt in den Studentenprotesten im letzten Oktober. Freier Zugang zu den Universitäten wird gefordert, alle sollen gleich behandelt werden. Der Staat kann sich das nicht leisten. Und das Thema Bildung ist in Südafrika historisch und emotional aufgeladen: Die Bilder der blutigen Niederschlagung des Schüleraufstands von Soweto im Jahre 1976 gingen um die Welt. Überall protestierten damals schwarze Schüler gegen Afrikaans als Bildungssprache und gegen die sogenannte Bantu-Education, mit der sie faktisch dumm gehalten werden sollten.

Ausblick

Die Wurzeln vieler Probleme liegen in der Vergangenheit Südafrikas. Doch sie werden durch die heutigen Zustände weiter verstärkt. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Südafrikaners beträgt 52 Jahre, nicht zuletzt wegen der hohen Kriminalität. Täglich werden landesweit 45 Menschen ermordet. Die Arbeitslosenquote liegt bei 25 Prozent, unter den 15- bis 24-Jährigen gar bei über 50 Prozent. Es herrscht nicht länger eine Apartheid der Hautfarben, doch vielleicht eine der sozialen Klassen.

Es bleibt die Hoffnung: Die lange als unantastbare Freiheitspartei gefeierte, inzwischen jedoch sehr korrupte ANC erhält zunehmend Konkurrenz von anderen Parteien. Und die Proteste von Studenten scheinen wie Weckrufe gegen die lethargische Resignation. Es bleibt zu hoffen, dass der Wandel kommt. Friedlich, respektvoll und im Bewusstsein für die beeindruckende Schönheit des Landes.

 


Literatur

  • Kreis, Georg: Die Schweiz und Südafrika 1948-1994. Schlussbericht des im Auftrag des Bundesrats durchgeführten NFP 42+, Bern 2005.
  • Marx, Christoph: Südafrika. Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 2012.
  • Subotzky, Mikhael/ Waterhouse, Patrick: Ponte City, Johannesburg, Göttingen 2014.

Fotos: Lisa Gnirss/Mark Jelley(Wikimedia Commons)