Herr Zaugg, wollen Sie Zürich zu einer Elite-Uni machen?

Versteht acht Sprachen, hat aber noch kein ausgefeiltes Lehrkonzept: Roberto Zaugg, der Neue am Historischen Seminar (Foto: Giorgio Scherrer).

Er ist der Neue am Historischen Seminar: Roberto Zaugg, seit August Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit. Ein Gespräch zum Amtsantritt des vielsprachigen Überfliegers – über heisse Forschungsthemen, mangelnde Lehrkonzepte, moderne Betreuung von Doktorierenden. Und sein liebstes Meerestier: die rote Koralle.

etü: «In der Renaissance wurde der Grundstein für den Vorsprung Europas gelegt»: Was sagen Sie zu dieser Aussage?

Roberto Zaugg: (Lacht) Das ist eine grosse, kontroverse Frage. Es gibt dazu keinen Konsens, zumal man sich hier in einem vorstatistischen Zeitalter befindet. Was sicherlich stimmt: Ab dem 15. Jahrhundert kommt es zu einer territorialen Expansion, die in den Amerikas zu einer europäischen Dominanz führt. In anderen Regionen ist das allerdings kaum der Fall. Der Grossteil Afrikas und Asiens wird nicht kolonialisiert. Was sicher stattfindet, ist aber, dass sich zum ersten Mal in der Geschichte ein global vernetztes Wirtschaftssystem etabliert. Darin haben europäische Mächte eine Vormachtstellung bezüglich des weltweiten Transports. Jetzt: Will man diesen Prozess mit dem Schlagwort «Renaissance» in Verbindung bringen? Kann man, muss man aber nicht.

Ist es eurozentrisch, wenn man das tut?

Wenn man europäische Geschichte betreibt, darf man auf Europa fokussieren – das ist nicht automatisch eurozentrisch. Ich frage mich einfach – und dies wirklich als offene Frage – inwiefern man die kulturellen Prozesse, die man traditionellerweise mit der Renaissance in Verbindung bringt, an eine wirtschaftliche Überlegenheit knüpfen kann, die sich viel langsamer entwickelt. Denn im 16. Jahrhundert gibt es keine wirtschaftliche Dominanz Europas gegenüber dem Fernen Osten.

Wie Sie vielleicht vermutet haben, stammt die Aussage von Ihrem Vorgänger Bernd Roeck. Für ihn war die Renaissance zentral, um zu erklären, warum die europäische Kultur weltweit zur dominierenden wurde. Wird diese Frage auch für Sie wichtig bleiben?

Die Fussstapfen von Bernd Roeck sind natürlich sehr gross und es ist eine Ehre, sein Nachfolger zu sein. Es heisst aber deshalb nicht, dass ich in die gleichen Fussstapfen treten muss. Jede Generation sucht neue Pfade. Ich denke, es ist eine wichtige Frage – aber nicht jene, auf die ich in den nächsten Jahren eine Antwort suchen werde.

«Da kann man noch so ausgeklügelte theoretische Reden schwingen: Es ist verdammt schwer, nicht eurozentristisch zu arbeiten»

Sondern?

Mich interessiert es, globale Phänomene verschränkt zu beobachten. Beispiel: Ich untersuche im Moment, wie materielle Kultur und Konsumgeschichte durch den maritimen Fernhandel verändert wurden. Diese Frage kann man nicht nur aus der Sicht Europas betrachten. Auch in China begannen Leute, Tabak zu rauchen, der ursprünglich aus den Amerikas kam. Die Frage ist, wie man diese Prozesse in einem gemeinsamen Rahmen anschaut.

Lässt sich von kritischen Fragen zu seinem Vorgänger nicht beeindrucken: Roberto Zaugg, der neue Professor (Foto: Nicolas Hermann).

Damit hat auch die nächste Frage zu tun: Was ist ihr Lieblings-Meerestier?

(Lacht) Zurzeit natürlich die rote Koralle.

Sie führen momentan ja auch ein SNF-Teilprojekt zur roten Koralle als Handels- und Kulturgut im atlantischen Raum durch. Warum stellen Sie gerade ein so unscheinbares Objekt ins Zentrum Ihrer Forschung?
Die Geschichte ist die: Während die europäischen Kaufleute brennendes Interesse an asiatischen Seide- und Baumwolltextilien sowie an Gewürzen hatten, stiessen – gerade in der Renaissance – europäische Güter in Asien auf wenig positives Echo. Die europäischen Kaufleute mussten also vorwiegend in Cash – also mit Wertmetallen – bezahlen. Etwas vom Wenigen, das in Asien auch auf Anklang stiess, waren Korallenperlen. Darum gibt es schon seit der Antike einen Korallenhandel nach Asien. Mich interessiert nun ein Handelsstrang, der sich erst im 15. Jahrhundert etablierte und mediterrane Korallenperlen von Europa nach Westafrika brachte. Dort wurden sie zu Luxusgütern – und sind es zum Teil bis heute.

«Ein grosses Problem sind die prekären Anstellungsverhältnisse des wissenschaftlichen Nachwuchses. Nur schon das Wort ‹Nachwuchs› ist problematisch»

Ihre schriftlichen Quellen stammen grösstenteils aus der Feder europäischer Akteure. So arbeiten Sie auch an einer Edition des Tagebuchs eines deutschen Wundarztes, der auf Sklavenschiffen arbeitete. Ist es nicht problematisch, wenn man sich so stark auf die europäische Perspektive stützt?

Das ist ein Riesenproblem. Da kann man noch so ausgeklügelte theoretische Reden schwingen, wie wichtig es sei, nicht eurozentrisch zu arbeiten. Wenn man es praktisch anschaut, muss man sagen: Es ist verdammt schwer. Gerade westafrikanische Küstengebiete verfügten in der Frühen Neuzeit über keine Schriftsysteme, weshalb wir fast ausschliesslich schriftliche Quellen von aussen haben. Geschrieben sind sie von Leuten, die nur eine beschränkte Sicht auf diese Kulturen hatten. Und trotzdem: Es ist das Beste, was man hat. Das ist kein Plädoyer für Geschichte aus rein europäischer Perspektive. Ich versuche durchaus auch, Artefakte und die archäologische Forschung als Quellen beizuziehen, um auch eine andere Sicht zu gewinnen.

Wie wichtig sind Sprachen? Sie sprechen oder verstehen ja acht…

Das bringt mir tatsächlich sehr viel: Wenn man Globalgeschichte betreibt, kann man nicht einfach sagen: «Fancy, aber gebt mir bitte alle Quellen auf Englisch oder Deutsch».

Nun beinhaltet Ihr Lehrstuhl ja Allgemeine und Schweizer Geschichte der Frühen Neuzeit. Wie werden Sie dem Schweizer Teil gerecht?

Man darf nicht meinen, es gebe auf der einen Seite die Schweiz und auf der anderen die Welt. Die Schweiz ist natürlich ein Teil dieser Welt, die sich verändert. In meiner Dissertation habe ich etwa untersucht, welche Rechte Ausländer im Neapel des 18. Jahrhunderts besassen – und bin dabei immer wieder auf Schweizer Kaufleute gestossen. Im Moment betreue ich zudem eine Dissertation dazu, wie sich die frühneuzeitliche Globalisierung in den Südalpen niederschlug. Und ich warte im Bereich der Schweizer Geschichte natürlich auch auf Forschungsideen von Studierenden und Doktorierenden.

Vom Gespräch mit dem Rektor zum Interview mit dem etü: der (noch bürolose) Roberto Zaugg Anfang August (Foto: Giorgio Scherrer).

Apropos Dissertationen: In letzten Zeit gab es in Zürich einige problematische Fälle von Machtmissbrauch zwischen ProfessorInnen und Doktorierenden. Ist das hiesige stark hierarchische Betreuungssystem noch zeitgemäss?

Es gibt sicher zwei Aspekte, die Gefahren bergen. Erstens: Ein grosses Problem sind die prekären Anstellungsbedingungen des wissenschaftlichen «Nachwuchses». Nur schon das Wort «Nachwuchs» finde ich problematisch. Es suggeriert, dass alles unter dem Professor ein förderbedürftiges Wesen ist. Zweitens: Das Machtgefälle. ProfessorInnen nehmen multiple Rollen ein und haben dadurch mehr Einflussmöglichkeiten. Gegenüber Doktorierenden ist man Vorgesetzter, Betreuer und am Schluss auch noch Bewerter. Das ist schon potentiell problematisch – wobei es sicher viele Fälle gibt, wo es gut geht. Ich habe natürlich auch gelesen, dass viele Doktorierende momentan unzufrieden sind. Dabei frage ich mich, welche Erwartungshaltungen auf beiden Seiten da sein müssen, dass es zu einer solchen Enttäuschung kommt.

«Wenn man Globalgeschichte betreibt, kann man nicht einfach sagen: ‹Fancy, aber gebt mir bitte alle Quellen auf Englisch oder Deutsch›»

Was für falschen Erwartungen?

Zum Beispiel bezüglich der Karriereperspektiven. Ich finde etwa, dass das Doktorat nicht einzig und alleine als Eintrittsticket zur akademischen Karriere betrachtet werden sollte. Es kann auch zu vielen attraktiven Jobs ausserhalb der Uni führen. Vielleicht muss man das klarer Vermitteln.

Wie wollen Sie das tun?

Man muss sich angesichts der unterschiedlichen Rollen von BetreuerIn und DoktorandIn einfach Zeit nehmen, um bilateral zusammenzusitzen und Lösungen zu finden – bezüglich der Forschungsfragen wie auch des Betreuungs- und Anstellungsverhältnisses.

Was wird Ihnen als Professor wichtiger sein: Forschung oder Lehre?

Beides gleich – und das ist keine diplomatische Antwort! Ich lehre sehr gerne. Ich bin ohnehin ein geschwätziger Typ. Und durch die Lehre kommen gewisse Fragen oft erst auf, die einen dann in der Forschung weiterbringen. Und natürlich forsche ich gerne: Im Archiv sitzen und Manuskripte lesen – das ist einfach wunderbar!

Beim Ständegespräch nach Ihrer Probevorlesung meinten Sie, Sie wollten bei Lehrveranstaltungen das Rad nicht neu erfinden und klassisch Seminare und Vorlesungen halten. Haben Sie unterdessen ein spezifischeres Lehrkonzept?

Ehrlich gesagt: Ich muss mich in nächster Zeit noch in die Logik der Zürcher Lehrveranstaltungstypen einarbeiten. Die sind nämlich teils sehr anders als an den Unis, an denen ich bisher gearbeitet habe.

«Ich finde es fragwürdig, wenn man Qualität mit dem Etikett ‹Elite› verkaufen will»

Am HS gibt es Profs, die bei Seminararbeiten schnell einmal gute Noten geben, wenn mit den Fussnoten alles stimmt. Andere stellen hohe Ansprüche und stecken dafür oft mehr Aufwand in die Betreuung. Zu welchen werden Sie gehören?

Bei einer Seminararbeit finde ich wichtig, dass man sich mindestens einmal trifft und sich Zeit nimmt, ein Konzept auszuarbeiten. Aber: Was ist eine gute Note? Ist eine 4.5 schon ein Fehdehandschuh?

Bei gewissen schon, aber eben: Das ist sehr unterschiedlich.

Es ist halt schon ein Weilchen her, dass ich zum letzten Mal wirklich Seminararbeiten benotet habe. Das letzte Mal war in Paris – an der «Elite-Uni» Sciences Po, die dafür bekannt ist, dass es fast nie eine 6 gibt.

Das blüht uns also auch? Wollen Sie Zürich zu einer Elite-Uni machen?

Nein, nein. Ich finde es ohnehin fragwürdig, wenn man Qualität unter dem Etikett «Elite» verkaufen will. Aber klar: Bestnoten sind schon für herausragende Leistungen reserviert. Denn Geisteswissenschaften haben genauso einen Wert wie andere Fächer, die ganz klar «sieben». Da gibt man Leuten, die zu wenig leisten oder zu wenig Talent haben, einfach eine ungenügende Note – und bewahrt sie so vor einem mediokren Abschluss. Wir haben als ProfessorInnen den Auftrag, den Wert unseres Abschlusses zu erhalten – und den muss man auch mit Noten signalisieren.

«Ich lehre sehr gerne. Ich bin ohnehin ein geschwätziger Typ»: Der neue Professor im Lichthof der Uni Zürich (Foto: Giorgio Scherrer).

Sie haben bereits in Florenz, Neapel, Basel, Lausanne, Paris und Bern gearbeitet. Mit knapp 40 sind sie zudem noch relativ jung für einen Professor. Ist Zürich für Sie einfach eine weitere Zwischenstation zu einer noch renommierteren Uni?

(Lacht) Als Historiker schaue ich tief in die Vergangenheit. Was aber in den nächsten Jahren sein wird, kann ich nicht voraussagen. Was ich aber sagen kann: Seit ich mit 19 aus dem Baselbiet zum Studium nach Italien zog, bin ich sehr oft umgezogen. Und es ist im Moment nicht meine erste Priorität, weiter am Zügelkarussel zu drehen. Die Uni Zürich ist eine tolle Uni.

«Wir haben als ProfessorInnen den Auftrag, den Wert unseres Abschlusses zu erhalten – und den muss man auch mit Noten signalisieren»

Was hat sie an der Uni Zürich am meisten angezogen?

Es ist eine grosse Uni mit vielen Studierenden. Allein schon das ist sehr attraktiv. Weiter gibt es hier ein sehr grosses Historisches Seminar, das breite Forschungsinteressen abdeckt. Gerade für jemanden mit einem globalgeschichtlichen Zugang ist es sehr wichtig, mit kompetenten SpezialistInnen aus verschiedenen Gebieten zusammenzuarbeiten.

Sie treten die Stelle hier erst 1.5 Jahre nach Ihrer Probevorlesung an. Ihre Berufung wurde zuerst vom etü publik gemacht, bevor das HS noch sehr spät offiziell informierte. Und aktuell (Anfang August, Anm. d. Red.) haben Sie noch nicht einmal ein eigenes Büro. Fühlen Sie sich eigentlich willkommen an der Uni Zürich?

Absolut, ja! Das sind halt administrative Vorgänge, die Zeit brauchen. Ich wurde hier sehr herzlich empfangen. Und Mitte August kann ich auch mein Büro beziehen.

Zur Person

Roberto Zaugg hat am 1. August 2019 die Nachfolge von Bernd Roeck am Historischen Seminar angetreten. Im Baselbiet aufgewachsen, studierte er in Florenz Geschichte, doktorierte in Neapel und landete nach Stationen in Basel, Lausanne und Paris auf einer SNF-Förderprofessur in Bern. Letztere soll nun in Zürich zu Ende geführt werden und dann in einer regulären Professur für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Frühen Neuzeit münden. Das Gespräch mit dem etü fand Anfang August statt, gleich nach dem Antrittsgespräch mit dem Rektor.