«Einen Song zu schreiben, ist einfacher als eine Seminararbeit»

Lo bei einem Auftritt im Kaufleuten mit Pacomé, Frühling 2017. Bild: Maximilian Lederer

Die Musik gehört nicht zu den konventionellen Berufsfeldern für Historiker. Trotzdem kann Lorenz Häberli vom Mundart-Duo Lo & Leduc Parallelen zwischen seinem Studium und dem Musikerdasein ziehen. Der etü sprach mit ihm über «Realness», Wissensdiskurse und kleinbürgerliche Zukunftspläne.

Etü: Ihr erlebt gerade eine intensive Zeit. Was war bis jetzt dein Highlight des Festival-Sommers?

Lorenz Häberli: Schwer zu sagen, alles eigentlich. Aber das Gurten- Festival war schon eine Herzensangelegenheit, weil wir alle von Bern kommen und seit 15 Jahren jedes Jahr dort sind – als Besucher oder beruflich. Das Konzert auf der Hauptbühne
war grossartig.

Wolltest du schon immer Musiker werden?

Nein. Ich wollte gar nie Musiker werden. Musik war sehr lange nur ein Hobby, das mir einfach Spass gemacht hat. Die ersten drei, vier Jahre dachte ich gar nicht daran, etwas zu veröffentlichen. Irgendwann lernte ich die richtigen Leute kennen und alles ergab sich «na dis na».

Und jetzt bist du trotzdem Musiker geworden…

Ja. Theoretisch könnte ich seit etwa zwei, drei Jahren von der Musik leben. Aber ich arbeite nach wie vor zusätzlich zur Musik.

Wirklich? Warum denn das?

Vor allem, um eine gewisse künstlerische Freiheit zu bewahren. Klar mache ich gerne Musik, die gut ankommt, mit der man Konzerte spielen und alle beteiligten Leute anständig bezahlen kann. Aber ich möchte auch nicht dazu gezwungen sein, einen kommerziell erfolgreichen Song schreiben zu müssen. Weiterhin nebenbei zu arbeiten, war ein Grundsatzentscheid, den Luc und ich zusammen gefällt haben. Wir wollen beruflich auch nicht wieder bei null anfangen, falls wir irgendwann mit der Musik aufhören.

Weisst du noch, warum du Geschichte studiert hast?

Aus verschiedenen Gründen. Es war jedenfalls interessensgeleitet, also überhaupt nicht darauf bedacht, was mein späteres Berufsfeld sein würde. Interessiert hat mich Geschichte unter anderem, weil mein Vater Geschichtslehrer war und mir in den Ferien jeweils viel erzählt hat.

Bringt dir das Studium heute in deinem Beruf als Musiker etwas?

Das ist schwer zu sagen. Was man im Geschichtsstudium lernt, ist Quellenkritik. Wenn ich Lieder schreibe, hilft mir das bei der Betrachtungsweise von Themen – warum ist etwas relevant und für wen? Solche Fragen stelle ich mir schon beim Schreiben von Songtexten. Man eignet sich natürlich auch gewisse Recherche- Skills an und man lernt, vertrauenswürdige Quellen zu erkennen. Aber ich sauge mir das jetzt ein bisschen aus den Fingern, merke ich gerade (lacht).

Was war denn dein Spezialgebiet im Studium?

Meine Masterarbeit habe ich über politische Lyrik im Kalten Krieg geschrieben. Genauer gesagt habe ich das Werk von Franz Josef Degenhardt untersucht. Also Kulturgeschichte im Kalten Krieg.

Interessierte dich das wegen deines Rap-Backgrounds?

Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, ich habe mich wegen einer gewissen Sprachaffinität überhaupt für Rap zu interessieren begonnen. Die hatte ich schon als Kind, damals wollte ich Sportreporter werden.

«Ich kann mich nicht an alle Beleidigungen erinnern, die man mir je angehängt hat.»

Fiel es dir leichter, eine Seminararbeit zu schreiben oder einen Songtext?

Unter dem Strich ist es sicher einfacher, einen Song zu schreiben, weil dort die Motivation intrinsisch ist. Bei Seminararbeiten war sie das zwar auch, aber nicht nur. Wobei es auch Songs gab, an denen wir fünf Jahre geschrieben haben. So lange
habe ich für eine Seminararbeit zum Glück nie gebraucht.

Fünf Jahre sind ganz schön lang, wenn man bedenkt, dass du als einer der besten Freestyler sonst Texte aus dem Effeff rappen kannst.

Nicht einer der besten. DER Beste war ich (lacht).

Sorry. Du hast ja dreimal den renommiertesten Battle-Rap-Contest der Schweiz gewonnen.

Ja, aber das war für mich immer ein Riesenstress. Ich war sehr ehrgeizig und war jeweils unglaublich nervös. Man muss sich das so vorstellen: Im Backstage chillen unglaublich coole Typen, die trinken und kiffen und eine gute Zeit haben. Und irgendwo sitze ich ganz alleine und konzentriere mich, trinke den ganzen Abend Wasser und rede mit niemandem – wie ein Soziopath (lacht).

Ist es nicht unglaublich schwierig, cool zu bleiben, wenn man dich in einem Battle quasi öffentlich beleidigt? Wie konntest du trotzdem so erfolgreich sein?

Nein, das darf einen nicht berühren. Es ist ein mentales Ding, du musst einfach gut zuhören und alles, was du aufnimmst, in eine möglichst lustige Beleidigung verwandeln.

Gab es mal einen Diss gegen dich als Historiker?

Ich kann mich nicht an alle Beleidigungen erinnern, die man mir je angehängt hat, aber ich glaube nicht. Gut möglich, dass ich mal jemanden mit einer Analogie auf eine historische Figur beleidigt habe.

Gehst du noch an Battles?

Nein, nachdem ich 2010 zum dritten Mal in Folge gewonnen hatte, war Schluss. Aber Freestyles sind immer noch Bestandteil der Lo & Leduc-Shows. Und ich bin in einem Kollektiv dabei, das sich Freestyle Convention nennt. Dort ist es ungezwungener als bei Battles. Beispielsweise wird mit dem Publikum Tabu gespielt und der Rapper muss das Wort in Reimform erklären.

«Realness ist unter dem Strich genauso eine imaginierte Kategorie wie alles andere.»

Trainierst du dafür?

Nein, schon lange nicht mehr. Samy Deluxe hat mal passend gesagt: «Irgendwann hat man auf jedes Wort schon einmal ein Wort gereimt und dann fallen einem von den ganzen Reimen, die es auf Worte gibt, schon ein paar mehr ein.» Und man hat
mit der Zeit auch gewisse Standardsätze, um Lücken zu füllen.

Eure Musik ist ja recht weit weg vom Rap. Wenn Leute, die ursprünglich
aus dem Rap kommen, sich davon abwenden, wird ihnen jeweils vorgeworfen, sie seien nicht mehr «real». Etwa bei Bligg. Seid ihr noch «real»?

«Realness» heisst ja vor allem, dass drin ist, was draufsteht. Und wir haben gar nie gesagt, dass wir irgendetwas sind. Solche Bezeichnungen sind mir relativ egal, denn «Realness» ist unter dem Strich genauso eine imaginierte Kategorie wie alles andere. Die meisten, die behaupten, dass unsere Musik nicht «real» sei, kopieren einfach den Stil, der vor vielen Jahren in kommerzieller Form von den Staaten in die Schweiz exportiert wurde. Das hat auch nicht viel mit Authentizität zu tun. Wir stehen halt mehr auf gute Mundarttexte, Dancehall und karibischen Sound als auf Schweizer Rap. Obwohl ich natürlich schon einige Schweizer Rapper feiere.

Wollt ihr mit euren Songs eigentlich etwas bewirken?

Also in erster Linie wollen wir die Zuhörer berühren. Wenn ich selbst Musik höre, dann höre ich auch nur einen kleinen Teil davon, weil ich ihn intellektuell anregend finde. Früher schrieb ich Texte aus purem Spass. Durch die Tatsache, dass jetzt mehr Leute unsere Musik hören, empfinde ich aber eine gewisse Verantwortung. Da macht man sich mehr Gedanken als früher.

Und wie äussert sich diese Verantwortung?

Nicht indem wir irgendwie ein politisches Manifest singen, dann sollten wir gleich in die Politik gehen. Wir versuchen mehr, durch unsere Geschichten eine Haltung oder ein Gefühl zu transportieren.

Zum Beispiel?

Das ist schwer zu erklären, das ergibt sich eben aus den Songs. Und ich möchte nicht meine Songs erklären. Aber ein Beispiel kann ich geben. Hinter Pluto, finde ich, ist die Haltung recht deutlich: Niemand verdient es, dort geboren zu werden, wo
er aufwächst. Weder zum Reichtum oder zur Armut deines Heimatstaates hast du etwas beigetragen. Und aus dieser Haltung kann man dann eigentlich alles Weitere ableiten, zum Beispiel bezüglich der Asylpolitik.

Wie ist eigentlich eure Freundschaft? Welches Zimmer hat Luc in deinem Hotel, wenn wir mit der Sprache eures Songs «Mis Huus, dis Huus» sprechen?

Sicher eines, das oft leer, aber immer für ihn reserviert ist. Das sind die Wichtigen, bei denen weiss man, dass sie das ganze Leben lang da sein werden. Davon gibt es wenige, die meisten werden irgendwann einmal weitervermietet. Wir haben wirklich
ein sehr gutes Verhältnis. Wir lernten uns als Musiker kennen, aber dadurch, dass wir Geschäftspartner wurden, wurde unsere Freundschaft noch enger. Wir ticken sehr ähnlich. Das zeigt sich auch darin, dass er die gleichen Fächer studiert hat wie ich (lacht). Er ist einer von zwei Personen, mit denen ich zusammen Songtexte schreiben kann. Das geht sonst mit niemandem.

«Es ist huere geil, Wissen als Diskurs zu begreifen.»

Und wie ist euer Verhältnis zu eurer Band Pacomé?

Auch sehr freundschaftlich; wenn das nicht so wäre, weiss ich nicht, ob wir das Ganze weiterziehen würden. Pacomé war ja ursprünglich Lucs Band. Ich habe ihn vor zehn Jahren ein halbes Jahr lang vertreten, weil er krank war und danach durfte
ich bleiben. Als neunköpfige, unbekannte Band hatten wir aber Mühe, Gigs zu bekommen. Deshalb beschlossen wir, dass Luc und ich zuerst einmal einige Songs zu zweit und gratis herausgeben und haben daher dutzende Shows zu dritt mit DJ gespielt. Das Ziel war es, am Ende immer mit der Band spielen zu können. Und das hat glücklicherweise geklappt.

Gute Zukunftsplanung. In eurem Lied Karussell geht es ja um Karriere…

Ja, da geht es aber um die Illusion der Karriereleiter. Wir sagen, dass die Karriere keine Leiter ist, sondern sich alles im Kreis dreht, wie auf einem Karussell. Natürlich sind wir selbst nicht vor dieser Illusion gefeit. Das sieht man ja nur schon daran, dass wir uns auf kleinbürgerliche Art und Weise neben der Musik noch mit anderen Jobs absichern.

Wie planst du sonst deine Zukunft – abseits der Musik?

Mir gefällt mein momentaner Arbeitsplatz sehr gut. Ich könnte mir aber grundsätzlich auch vorstellen, wie schon zu Studienzeiten wieder einmal als Lehrer tätig zu sein. Ich finde es enorm wichtig, dass es Lehrpersonen gibt, die den Kindern die Angst vor dem Wissen nehmen. Viele Kinder denken, Wissen sei etwas fix Existierendes, und wer das nicht habe, der sei dumm. Wissen muss man aber als Diskurs begreifen, der sich wandelt. Das ist «huere geil», weil es einem viele Ängste im Leben nimmt.

Könntet ihr euch als Band vorstellen, noch ein breiteres Publikum zu erreichen und in einer anderen Sprache zu singen?

Nein. Französisch oder Spanisch wären zwar sehr schöne Sprachen. Aber letztlich beherrschen Luc und ich keine Sprache genug gut, als dass wir unseren Ansprüchen an Songtexte gerecht werden könnten. Ausser Hochdeutsch, aber da sehe ich mich selbst nicht so – vielleicht würde ich aber gerne einmal für jemand anderen einen deutschen Text schreiben.

Werden Lo & Leduc auch in Zukunft Mundart-Musik bringen?

Ja, das ist sicher. Nur wann, wie viel und wie lange, weiss ich nicht.

Zur Person

Lorenz Häberli (*1986) ist Teil des Mundart-Duos Lo&Leduc, welches mit Hits wie Jung verdammt oder Bini bi dir schweizweit Berühmtheit erlangte. Dieses Jahr gab
das Duo das Album Ingwer und Ewig heraus, mit dem es auf den grossen Schweizer Festivalbühnen tourte. Lorenz Häberli arbeitet im redaktionellen Bereich und
studierte zwischen 2005 und 2014 Geschichte, Germanistik und Medienwissenschaften an der Uni Fribourg.