Die glorreichen sieben noch-nicht-UNESCO-Stätten in der Schweiz

Grabungsstätte Göbekli Tepe, Urfa, Bild: Wikimedia Commons

Vergangene Woche hat die UNESCO 11 neue Stätten in der ganzen Welt in die Liste ihres Welterbes aufgenommen. Welche Orte und Objekte in der Schweiz würden, zusätzlich zu den bestehenden, die Aufnahme in den renommierten Katalog verdienen? Etü-Redaktor Michael D. Schmid hat sich dazu Gedanken gemacht und sieben mögliche Kandidaten «nominiert». Ganz nebenbei liefert er damit Tipps für Ausflüge in den Sommerferien. 

1‘092 Stätten in 167 Staaten. Die Liste des UNESCO-Welterbes, die seit 1978 bedeutende Kulturerbe- und Naturerbestätten inventarisiert, ist lang geworden. Vergangene Woche hat die UNESCO auf einer Tagung in Bahrain 11 weitere Stätten ausgezeichnet, darunter buddhistische Bergklöster in Südkorea, einen kolumbianischen Nationalpark mit Felszeichnungen und das inzwischen berühmte Göbekli Tepe in der Türkei, das die vermutlich ältesten Tempel der Welt umfasst (Siehe Titelbild). Dass die Liste immer länger wird, tut dem Wert und der Bedeutung der Auszeichnung keinen Abbruch. Schliesslich trägt das Label auch zu Schutz und Erhaltung der Stätten bei. Ferner ist die globale Vielfalt von Kulturen und Landschaften reichhaltig genug, um weitere tausend Stätten ins UNESCO-Inventar aufzunehmen. Nicht alle Stätten des Weltkulturerbes umfassen ein Einzelobjekt. Mit Stätten wie «Prähistorische Pfahlbauten des Alpenraums» und «Kulturlandschaft Wachau» versucht die UNESCO, Kultur in grössere historische und geographische Kontexte einzuordnen

In der Schweiz sind bislang zwölf Welterbe-Stätten verzeichnet, vier davon grenzüberschreitend. Die Vielfalt reicht von der Gebirgslandschaft Jungfrau-Aletsch über das karolingische Kloster Müstair bis zum Oeuvre Le Corbusiers. Auf der tentative list (Bewerber-Liste) der Schweiz fungiert ausserdem Robert Maillarts schwindelerregende Salginatobelbrücke. Welche weiteren Stätten in der Schweiz kämen für eine Aufnahme ins UNESCO-Welterbe in Frage? Sieben mögliche Kandidaten.

1. Kulturlandschaft Vierwaldstättersee

OLYMPUS DIGITAL CAMERA
Vierwaldstättersee, Foto: Michael D. Schmid.

Der Vierwaldstättersee als Kulturlandschaft? Gemeint ist damit vor allem die kulturelle Entwicklung des langen 19. Jahrhunderts, als der Vierwaldstättersee zum Zentrum der nationalen und der internationalen Schweiz wurde. Im 19. Jahrhundert verstärkten sich die Tendenz zum Verständnis der Schweiz als Nation und damit das Interesse an einer nationalen Historiographie und Mythologie. Dies schlug sich in zahlreichen Erinnerungsorten nieder, etwa dem Telldenkmal in Altdorf, der Tellsplatte in Sisikon, dem Schillerstein beim Rütli oder dem Winkelried-Denkmal in Stans. Zugleich beweist die touristische Erschliessung eine internationale Ausrichtung der Region. Zeugen hiervon sind die Hotelkomplexe (z.B. in Luzern, am Bürgenstock oder in Brunnen), die zahlreichen Bergbahnen (Z.B. an Rigi, Pilatus und Bürgenstock) oder die Dampfschiffe. Die Dichte an Denkmälern nationaler Kohäsion und internationaler Orientierung ist bemerkenswert und rechtfertigt die UNESCO-Zertifizierung der «Kulturlandschaft Vierwaldstättersee».

2. Industriekultur an der Töss

Industriekultur
Ehemalige Fabrikhalle Sulzerareal Winterthur, Bild: Michael D. Schmid.

Die internationale Wahrnehmung der Schweiz als bäuerlich geprägtes „Heidiland“ vernebelt zuweilen den Blick auf die Geschichte: So ist wenig bekannt, dass Teile der Schweiz zu den am frühesten industrialisierten Regionen der Welt zählten, etwa das Glarnerland, das Toggenburg und das Tösstal mit der Industriemetropole Winterthur. Bereits im 18. Jahrhundert entwickelte sich eine rege Heimindustrie. Webkeller und Flarzhäuser bezeugen diese Entwicklungen baulich. 1802 wurde in der Hard bei Winterthur eine der ersten mechanischen Spinnereien Kontinentaleuropas erbaut. Gerade im Tösstal und in Winterthur sind zahlreich Fabrikbauten erhalten, etwa die hervorragend konservierte Spinnerei Neuthal (heute Museum) oder Teile des im späten 19. Jahrhundert erbauten riesigen Sulzer/SLM-Areals in Winterthur. Neben den eigentlichen Industriebauten gehören auch frühe Arbeitersiedlungen und Fabrikantenvillen zu diesem wirtschafts- und sozialhistorischen Erbe. Es ist Zeit, die Industriegeschichte der Schweiz mit einem UNESCO-Zertifikat ins rechte Licht zu rücken.

3. Antoniuskirche Basel

Antoniuskirche
Antoniuskirche Basel, Bild: Michael D. Schmid

Karl Mosers 1925-1927 erbaute St. Antoniuskirche in Basel ist ausserhalb von Fachkreisen kaum bekannt. Zu Unrecht! Die römisch-katholische Quartierskirche ist ein revolutionäres Zeugnis des Neuen Bauens von europäischem Rang. Zwischen Auguste Perrets gemässigt moderner Kirche Notre-Dame du Raincy und der «Wegekirche» St. Fronleichnam in Aachen von Rudolf Schwarz stellt Mosers Antoniuskirche den entscheidenden Link dar. Trotz der traditionellen dreischiffigen Anlage und dem Chorraum wirkt der Kirchenraum offen und nimmt das Modell «Wegekirche» fast vorweg. Die Stellung der Kirche an der Flanke einer Strasse ist ungewohnt und bedeutet eine Abkehr von der traditionellen platzbeherrschenden Stellung des Sakralbaus. Konsequent verwendete Moser für Innenraum und Fassaden Sichtbeton und formulierte damit technisch und ästhetisch ein Postulat der Moderne. Die Antoniuskirche Basel ist der erste konsequent moderne Sakralbau Europas und somit definitiv UNESCO-tauglich.

4. Walensee und Churfirsten

Walensee
Blick über den Walensee auf die Churfirsten, Bild: Michael D. Schmid

Während eine monumentale Sichtbetonkirche wohl nicht den Geschmack aller trifft, dürfte die Wahl des Walensees und der Churfirsten als Kandidaten für das UNESCO-Weltnaturerbe wohl breit verstanden werden. Der See mit seiner grünblauen Farbe vor der atemberaubenden Kulisse der sich wuchtig auftürmenden Churfirsten – was für eine Landschaft! Mit dem Serenbachfall verfügt das Nordufer ausserdem über den höchsten Wasserfall Europas (585 m in drei Stufen). Die Churfirsten und der angrenzende Sichelchamm sind leicht lesbare Zeugen der Alpenfaltung und geologische Denkmäler von hohem Rang. Die benachbarten Glarner Alpen sind unter der Bezeichnung «Tektonikarena Sardona» bereits im UNESCO-Weltnaturerbe eingebunden. Statt den Walensee und die Churfirsten separat auszuzeichnen, könnte das Gebiet des bestehenden Welterbes nach Norden ausgeweitet werden.

5. Reformierte Querkirchen

Querkirchen
Innenansicht der Querkirche Hinwil, Bild: Michael D. Schmid

Bei den zahlreichen von der UNESCO ausgezeichneten Sakralbauten des Katholizismus geht das protestantische Bauerbe etwas unter. Zwar verzichteten die Bauherren dieser Kirchen meist auf Monumentalität und Pracht, aber umso interessanter ist die protestantische Auseinandersetzung mit Raumtypen. In der Barockzeit suchten die Reformierten nach Raumtypen, welche die Gemeinde umfassen und formieren und zugleich alle Aufmerksamkeit auf die Kanzel als Predigtort lenken können. Die Querkirche (Längsachse ist kürzer als Querachse)  war eines dieser Konzepte. Die Schweiz verfügt über einen bemerkenswerten Bestand dieser Bauten. Die originelle Ovalkirche von Abraham Dünz in Chêne-Pâquier markiert den Anfang, die prachtvollen Rokoko-Festsäle von Wädenswil (1767) und Horgen (1782) den Höhepunkt dieser Entwicklungen. Die über 40 erhaltenen Zeugnisse dieses Bautypus aus der barocken und klassizistischen Ära verdienen die Aufnahme in den UNESCO-Katalog.

6. Matterhorn

Matterhorn pixabay
Matterhorn, Bild: Pixabay

Gut, das musste ja kommen… was wäre eine solche Liste, ohne das Wahrzeichen der Schweiz, ohne die Ikone des Alpenraums. Die weltberühmte Silhouette entstand durch langanhaltenden Abschliff der Gletscher während der Eiszeiten. Der Polyglott-Reiseführer nennt den Berg «die schönste Felspyramide auf Erden». Zum Vergleich: Die im UNESCO-Weltkulturerbe geführte Cheops-Pyramide in Gizeh ist 146 Meter hoch und 4’600 Jahre alt. Die Walliser Felspyramide ist 4‘478 Meter hoch und einige Millionen Jahre alt. «Wer hat’s erfunden?» Spass beiseite: Das Matterhorn bedarf keines absurden Vergleichs. Es  wäre zusammen mit den umliegenden Massiven (Dent Blanche, Monte Rosa, Mischabel) ein valabler Kandidat für das UNESCO-Weltnaturerbe.

7. Schloss Chillon

Chillon pixabay
Schloss Chillon, Bild: Pixabay

Neben den Burgen von Bellinzona hätte eine weitere Festung die Aufnahme ins UNESCO-Inventar verdient. Das Château de Chillon ist eine der ältesten und imposantesten Wasserburgen Europas. Seit der Antike ist die Felseninsel im Lac Léman, auf der sich der trutzig-schöne Baukörper erhebt, besiedelt. Die heutige Burg entstand unter den Grafen von Savoyen in mehreren Etappen vom 11. bis zum 13. Jahrhundert. Von grossen Dichtern wie Lord Byron und Victor Hugo gerühmt, ist sie heute das meistbesuchte historische Gebäude der Schweiz. Der über 100 Meter lange Festungskomplex ist wohl die bedeutendste Burganlage der Schweiz und somit unbedingt geeignet für eine Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe.