Wenn Menschenrechte freiwillig sind

Multinationale Unternehmen, Menschenrechte und die Rolle der Schweiz: Ein Workshop an der Uni Zürich fragt nach der Verantwortung – und gibt einen Teil der Antwort gleich selbst.

Die Paradise Papers, Panama Papers und all ihre Vorgänger haben eines gezeigt: Dass multinationale Unternehmen arme Länder ausbeuten, und das meist sogar legal. Sie haben dadurch eine Diskussion befeuert, die ihre Anfänge eigentlich in den 1960er-Jahren hat und in der Schweiz spätestens durch die Einreichung der «Konzernverantwortungsinitiative» im Oktober 2016 auf dem politischen Tapet ist. Es geht um Frage, ob multinationale Unternehmen Menschenrechte respektieren müssen. Während sie in den Rechtswissenschaften schon lange diskutiert wird, scheint sie unter Historiker/innen bisher, zumindest an der Universität Zürich, kaum ein Thema gewesen zu sein. Umso erfreulicher ist es, dass Svenja Goltermann und Monika Dommann vom Zentrum Geschichte des Wissens jüngst zu einem interdisziplinären Workshop luden, der juristische, historische und politische Perspektiven zusammenbrachte.

«Special Guest» des Anlasses war Anne Peters, Leiterin des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Sie fokussierte in ihrem Referat auf der Frage, ob an Schweizer Gerichten zivilrechtliche Klagen wegen Menschenrechtsverletzungen durch Schweizer Unternehmen im Ausland möglich sind. Eines der Kernprobleme ist dabei, dass Menschenrechte traditionell nur im Verhältnis Staat-Bürger gelten und für Unternehmen nicht bindend sind. In diese Lücke springen die Guiding Principles der UNO, ein Set von «Spielregeln» für Staaten und Unternehmen. Ihr Herzstück ist die menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung, die sogenannte due diligence. Unternehmen sollen prüfen, ob es in ihrer Lieferkette zu Menschenrechtsverletzungen kommt oder kommen könnte und entsprechende Gegenmassnahmen ergreifen. Die Prinzipien wurden in einem Multi-Stakeholder-Verfahren unter Einbezug der Staaten, Unternehmen und der Zivilbevölkerung erarbeitet und sind als Kompromiss zwischen deren divergierenden Interessen zu sehen. Für die Unternehmen sind sie rechtlich nicht bindend, sondern appellieren lediglich an ihre moralische Verantwortung.

Regulierung hat es in der Schweiz besonders schwierig

Der Schweiz kommt bei der Entstehung dieser Freiwilligkeit eine unrühmliche Rolle zu. Während der «ersten Welle» internationaler Bemühungen um eine Regulierung multinationaler Unternehmen spielte Alt-Bundesrat Hans Schaffer, der im zuständigen Gremium der UNO Einsitz nahm, der Wirtschaft vertrauliche Informationen zu. Gemäss Matthieu Leimgruber, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich, folgte er damit einem typischen Muster von Schweizer Diplomaten im 20. Jahrhundert, die vorwiegend die Interessen von Grossunternehmen vertraten. Leimgruber führte in seinem Vortrag weiter aus, wie es in den 1960er-Jahren – im Kontext vom Rise of the Global South, Krisen und Revolten – zu einem turf battle gekommen war, einem Kampf um die Deutungshoheit zwischen UNO und OECD.  Die OECD habe diesen mit der Verabschiedung der ersten, sehr unternehmensfreundlichen Guidelines for Multinational Enterprises für sich entschieden.

Die «zweite Regulierungswelle» ab den 90er-Jahren hatte es noch schwerer als die erste. Dies, weil sie – so Andreas Missbach von der Organisation Public Eye in einer neokonservativen Atmosphäre von Liberalisierung und Deregulierung stattgefunden habe. Entwicklungsländer hätten sich vergeblich für verbindliche Regulierungen durch die UNO eingesetzt. In diesem Kontext seien die UN Guiding Principles entstanden. Deren Kern, die menschenrechtliche Sorgfaltsprüfung durch Unternehmen, würde durch die Konzernverantwortungsinitiative in nationales Recht überführt.

Scheinargument Entwicklungszusammenarbeit

Ein mögliches Argument gegen Regulierungen von multinationalen Unternehmen, man helfe dem globalen Süden mit der Entwicklungszusammenarbeit ja schon genug, zerpflückte schliesslich Dominik Gross von Alliance Sud. Durch Steuervermeidung in Entwicklungsländern würden jährlich 200 Milliarden Dollar vom Süden in den Norden fliessen – etwa ein Viertel mehr, als durch Entwicklungszusammenarbeit umgekehrt investiert werde. Das Problem sei aber so wichtig wie schwierig zu verändern, denn Steuern seien eines der Kerngeschäfte souveräner Staaten, die Eingriffe nur sehr zurückhaltend dulden würden.

Die Thematik der Menschenrechtsverletzungen durch multinationale Unternehmen ist nicht erst seit den Paradise Papers aktuell – man denke beispielsweise an die Beteiligung von Schweizern am Sklavenhandel im 17.-19. Jahrhundert. Als beliebter Firmenstandort hat die Schweiz eine besondere Rolle und Verantwortung bei der Frage, ob Menschenrechte für Grossunternehmen bindend sein sollen. Die Diskussionen im Workshop zeigten, wie komplex diese Frage ist. Basierend auf den UN Guiding Principles, ist die Konzernverantwortungsinitiative in diesem Sinne ein «gutschweizerischer» Kompromiss zwischen den beteiligten Akteuren. Bei der Abstimmung über die Initiative wird sich zeigen, ob die Schweiz endlich bereit ist, ihre globale Verantwortung zu übernehmen.

Titelbild: Einreichung der Konzernverantwortungsinitiative, 20.10.2016, Quelle: Pressebild Initiativkomitee