Der Wille zum Wissen

Philosoph, Psychologe, Soziologe, Historiker. Es gibt kaum ein geisteswissenschaftliches Feld, in dem der französische Machtforscher Michel Foucault nicht arbeitete. Sein Buch «Archäologie des Wissens» und die damit verbundene Theorie der Diskursanalyse machten ihn zu einer Legende. Das hier besprochene Werk «Der Wille zum Wissen» wurde weniger rezipiert, ist aber nicht minder lesenswert.

Im ersten von drei Teilen seiner finalen Forschungsreihe «Sexualität und Wahrheit» macht sich Michel Foucault auf, die Verbindungen zwischen Macht und Wissen zu erforschen. Vor dem Hintergrund der 68er-Bewegung konfrontiert er den Leser dazu mit einer schockierenden Frage: Was, wenn das Übel noch sehr viel tiefer reicht, als bisher gedacht? Als Anstoss nimmt er das Paradox, dass das Volk seit dem 17. Jahrhundert zwar nur noch hinter vorgehaltener Hand über Sexualität sprechen könne, aber eigentlich auch gar nichts mehr anderes tue, als genau dies.

Der Poststrukturalist baut sein Werk im Stil einer klassischen dialektischen Erörterung auf – These, Antithese, Synthese – die er in fünf Kapitel verpackt. Dazu kommt ein Vorwort, in dem traditionellerweise Möglichkeiten und Grenzen seiner Forschungsreihe angesprochen werden.

Im ersten Kapitel analysiert Foucault den Diskurs über Sexualität im 17. Jahrhundert und thematisiert dabei die sogenannte «Repressionshypothese», die im frühen 20. Jahrhundert unter anderem von Sigmund Freud vertreten wurde. Diese ging grob gesagt davon aus, dass Sexualität seit dem 17. Jahrhundert in die Schranken gewiesen werden musste, da sie unter anderem als ein hindernder Faktor für die Industrialisierung gesehen wurde. Auf diese Weise sollte die Effizienz und Produktivität der Arbeiterschaft maximiert werden. Weiter geht Foucault auf die These ein, dass allein schon das Sprechen über die Sexualität in einer Zeit der sexuellen Repression einer Widerstandsbewegung gleichkomme. Vor allem anhand dieses Arguments rekapituliert Foucault die Ideologien der 68er-Bewegung, die er als naiv und im Endeffekt wirkungslos darlegt. Dies ist die Ausgangslage, von welcher aus er seine These und die Synthese aufbauen wird.

Seine Gegenargumente folgen dann auch gleich in den nächsten drei Kapiteln. Darin stellt Foucault die Hauptthese seines Buches auf: Das öffentliche Sprechen über die Sexualität sei in der Gesellschaft nicht unterdrückt, sondern gar gefördert worden. Um diese These zu stützen, führt er anschliessend praktische Beispiele dafür auf, wie etwa die psychiatrische Definierung und rechtliche Kriminalisierung bestimmter sexueller Praktiken, die später als «pervers» galten, bevor er auf das «dispositiv» eingeht – wie er die Mittel und Wege der Macht nennt –, welches das Sprechen über Sex und Sexualität steuert. Dazu gehören die Wissenschaften (Medizin, Pädagogik u.a.), aber auch die Verschleierungstechniken und Formveränderungen der Macht. So walte diese – im Gegensatz zum Mittelalter – nicht mehr, indem sie über Leben und Tod entscheide, sondern indem sie leben gebe und forme. Folgend kommt Foucault auf die berühmten Begriffe von Bio-Macht und Staatsrassismus zu sprechen, die praktische Anwendungen dieser neuen Art der Macht seien. In der Synthese schliesslich fügt Foucault den Faktor Sexualität hinzu und rekapituliert damit die gewonnenen Einsichten.

Mein Kritikpunkt an Foucaults Werk ist die Schwerfälligkeit, mit der er seine Ideen zu Papier brachte. Diese sprachliche Umständlichkeit führte und führt noch immer zu einer extremen Polarisierung seiner Rezeption, weshalb seine Gesellschaftskritik, im Gegensatz zu seiner Theorie der Diskursanalyse, leider nur allzu oft links liegen gelassen wird. Auch wenn sie es sicherlich wert ist, gelesen zu werden.

das Geniale an ihr ist nämlich, dass Foucault es versteht, hinter die ersten Schichten der Machttaktiken zu blicken. Es geht nicht um das Verbot gewisser Praktiken, sondern um die Identifizierung der Praktizierenden, nicht um die Repression der Sexualität, sondern um die Rückverfolgung derer Wege.